Plädoyer für mehr Gelassenheit

(Hinweis: dieser Text hat einen rein selbsttherapeutischen Zweck. Ja, ich rede mit mir selbst.)

Für unser aller Seelenheil schlage ich vor, wir bleiben ein bisschen ruhiger. Trotz der niederträchtigen Gemeinheiten, die uns auflauern und für die irgendwer Schuld haben muss, müssen wir Runterkommen vom dauerhaften Empörungszustand, der sich nämlich nicht mehr wie solch einer anfühlt, sondern eher wie eine düster eingefärbte Normalität, die uns alle wie ein sich anbahnendes Gewitter nervös macht.

Die Bemerkung, dass sich unsere gesellschaftspolitischen Problemlagen langsam aber sicher in eine die Gemeinschaft zersetzende Richtung bewegen, wird einem medial in verschiedenster Form und in steter Regelmäßigkeit aufgetischt. Das ist nicht so leicht zu verdauen, man stellt sogar fest, dass es einem irgendwie quer liegt wie ein fieser Furz. Bedient von tagesaktuellen Meldungen, die nunmal vorwiegend aus negativer Berichterstattung bestehen, ist es mit unserem inneren Frieden schnell dahin. „Bad news are good news“ und so. Kennt man.

Ich würde mich hüten, den (Leit-)Medien gezielte Stimmungsmache zu unterstellen, auf rein individueller kognitiver Ebene rütteln bad news aber nun eben doller am emotionalen Gerüst als positive. Meine eigenen Verarbeitungskapazitäten reflektierend, würde ich behaupten, eine Erfolgsmeldung ist kurz freudig notiert und gleich abgehakt, eine schlechte Nachricht, insbesondere wenn sie penetrant repetiert wird, setzt sich in der Birne fest und schürt im argen Fall latente Ängste.

Okkupiert von diesen diffusen Sorgen, fällt es einem Großteil der Menschen schwer, Dinge in einen größeren Kontext einzuordnen. Oder anders gesagt: Obwohl die überwältigende Mehrheit auf konkrete Nachfrage hin zum Schluss kommt, dass es ihr ziemlich gut geht, können wir uns wahnsinnig über bestimmte Sachen aufregen, deren Relevanz sich mitunter nach subjektiver Gemütslage richtet. Das ist soweit nicht sonderlich problematisch. Jeder Möchtegern-Fachidiot hat so sein Thema, wo er sich inhaltlich geborgen fühlt. Manches hingegen kümmert einen weniger. Und doch gibt es nicht wenige dieser Komplexbehafteten, die mit viel Überzeugung aber noch mehr Ahnungslosigkeit querschießen. Und warum ist der Ton dabei eigentlich so rau geworden?

Da komm ich wieder zum krumm sitzenden Furz. Auf der Mikroebene individueller Verarbeitungsmechanismen von gefühlten Bedrohungsszenarien, denen wir ausgesetzt zu sein scheinen, soll es jene geben, die ihn im stillen Kämmerlein ablassen, um unnötigen Kollateralschaden zu vermeiden. Andere hingegen drücken ihn ihrem Gegenüber feierlich ins Gesicht. Im Netz nennt man solche Pupser Trolle. Und die flatulieren viel. Ungestört und ohne Konsequenzen.

Im Netz steht durch barrierefreie Kommunikationsmöglichkeiten und die Abwesenheit sozialer Selbstkontrollmechanismen wie Scham oder Empathievermögen ein einfaches Ventil zur Verfügung, Ängste umzumünzen in emotionale Überschwungshandlungen, die die Empörungswelle dann tsunamiartig anschwellen lassen, und die Leidensgenossen nur noch zu reiten brauchen. Beiträge im eigenen Newsfeed scheinen dabei gleichzeitig so real, so nah und authentisch was das Erregungspotential gleichsam erhöht. Probleme von anderen werden plötzlich auch meine. Seltsamen Gruppierungen schenke ich ungewollt Beachtung. Social Bots gaukeln mir vermeintliche Relevanz der absurdesten Nischenscheiße vor. Ist die Welt wirklich plötzlich so weird geworden?

Naja, vielleicht war die schon immer so seltsam. Aber die ständige Sichtbarkeit komischen Krams anderer Leute, die vorher hinter irgendeinem Trekker ihre Paranoia geschoben haben, steigert den Erregungs-Highscore nochmal um ein weiteres Level. Und beim zweiten oder dritten Pappenheimer, der so ähnlich denkt, bildet sich die trügerische Gewissheit heraus, der Welt mitteilen zu müssen, wie es WIRKLICH aussieht. Und da man das im virtuellen Raum so wunderbar selbstreferentiell zelebrieren kann, warum im echten Leben hinterm Berg halten?

Kann es vielleicht sein, dass online einseitige Kommunikationsentgleisungen eingeübt werden, die dann tourettemäßig auf der Straße und im Alltag ihre Fortsetzung finden?

Das wäre die These dieses furzlastigen Beitrags. Die Botschaft wäre wiederum: Lasst es doch einfach mal! Jeder Jeck is anders. Leben und leben lassen. Solange die Freiheit der anderen nicht beschnitten wird, kannste doch einfach dein Ding machen, und ich mach meins. Bisschen weniger missionieren täte gut. Mal durchatmen und kurz reflektieren, wenn es doch eigentlich um nix geht, ist auch eine starke Entscheidung.

Es ist etwas Überwindung dabei zu akzeptieren, dass es immer Leute geben wird, die anderer Auffassung sind und wir zwangsläufig einen Kompromiss finden werden müssen, wenn eine Streitsache dann doch einmal unser beider Leben berührt. Ansonsten nicht jedes belanglose Ereignis hämisch kommentieren und als Ausdruck all dessen betrachten, was in der Welt schief geht. Kleine Probleme können auch einfach mal kleine Probleme bleiben.

PARTEI wählen geht nich? Nich jetz?

Die letzten Tage habe ich viel darüber nachgedacht, ob man die PARTEI wählen darf oder nicht. Auslöser war ein Kommentar in der taz bzw, der bestätigende Kommentar einer Freundin von mir zu diesem Kommentar. Beide meinten: Geht gar nicht!

Mit dem Zusatz: Vor allem nicht jetzt zu diesem Zeitpunkt. Wo doch die AfD in den Bundestag einzieht. Wenn wir unsere Stimme verschwenden an eine Partei, die eh an der 5% Hürde scheitern wird, dann ist es schließlich eine vergeudete Stimme, die hätte helfen können, die AfD nicht stärker zu machen als sie es ohnehin schon wird. Das Argument des taktischen Wählens ist ja bis hierher erstmal nix neues. Gebe ich meine Stimme einer etablierten Partei, auch wenn sie nicht meine erste Wahl ist, um das größere Übel einzudämmen? Kann man machen. Wenn es sich halbwegs richtig anfühlt…

Der Vorwurf an PARTEI WählerInnen geht jedoch weiter. Im Kern seien diese elitäre überhebliche Hedonisten, denen die Demokratie am Arsch vorbeiginge, da die PARTEI für nix stehe außer einer destruktiven Haltung zum Politikbetrieb. In der Tat bietet deren Wahlprogramm dem ernsthaft Interessierten keine seriösen Lösungskonzepte, sondern eine Mischung aus Klamauk und Trollerei. Ist es daher vielleicht wirklich verachtenswert, bei denen mein Kreuz zu machen? Weil sich die PARTEI für nix einsetzt, keine konkreten Ziele verfolgt, und sich inhaltlich darin erschöpft, andere durch den Kakao zu ziehen?

Is was dran

Ich wollte das Argument so gelten lassen. Dachte: Ja, irgendwie isses schon wahr. Bin ich tatsächlich einfach nur politikverdrossen und zeige meinen Protest, indem ich zwar keine braune Gülle wähle, stattdessen aber nihilistisch angehauchten Quatsch, der mich ein wenig besser fühlen lässt, weil wir ganz einfach über allem drüber stehen und es eben besser wissen? Ohne eine Lösung vorzuschlagen, aber sich lustig machen über die, die es wenigstens probieren?! Und das in einer Zeit, in der Faschos und Neonazis eine politische Heimat gefunden haben, die es spätestens jetzt endlich zu bekämpfen gilt?

Tief in mir hab ich gleich eine leichte Unruhe gespürt. Es fühlt sich nicht richtig an, von anderen zu verlangen, von Angst getrieben eine Entscheidung zweiter oder dritter Klasse zu treffen. Schließlich sind die Tatsachen doch auf dem Tisch. Ein erschreckend großer Teil unserer Gesellschaft hat scheinbar kein Problem damit, Nazis, Rassisten, Antisemiten und Faschisten ins Parlament zu wählen. Von Hass zerfressene geifernde und sabbernde Menschen musste man da im Fernseher sehen. Das sind wohl die, die hoffnungslos verloren in ihrer eigenen Welt umherwandeln. Und dann gibt es aber noch die „Besorgten“ oder wie auch immer man die nennt, die sich um den deutschen Rentner sorgen, während der Flüchtling alles bekommt. Oder der einfach keine Ausländer mag, auch wenn ers nicht sagt. Die gibt es da draußen. Viel zu viele. Die sind da.

Wo es weh tut

Wenn ich mein Kreuz bei der PARTEI mache, dann mache ich mich also mitschuldig? Weil ich es zulasse, dass die AfD noch einen Sitz im Parlament mehr bekommt? Echt jetzt? Also, ich versteh das zu 100%, dass besonders Menschen (z.B. meine besagten Freunde), die sich täglich im politischen Betrieb einsetzen, sich vor den Kopf gestoßen fühlen, wenn andere Leute ihr Kreuz setzen bei einem Verein, der so ganz und gar jenseits der eigenen Handlungsweisen agiert. Das muss frustrierend sein, wenn man tagtäglich sisyphus Arbeit leistet, und dann rollt da ne Horde Komiker über alles drüber. Ich will auch niemanden von ihnen absprechen, dass sie wertvolle Überzeugungsarbeit leisten und an einer besseren Gesellschaft arbeiten (wollen).

Nur bin ich überzeugt, dass es Satire und gerne auch mal ne brachiale Ansage braucht, damit wir ans Denken kommen. Den Finger in die Wunde legen und nochmal beherzt zudrücken. Und ich rede hier nicht von Das-wird-man-doch-noch-mal-sagen-dürfen Nazischeiße, die auf einer faschistoiden Verbrecherlogik beruht, sondern beispielsweise jener Art der politischen Unkorrektheit, die die Sprache als unhinterfragten Schutzmantel entlarvt, aber nicht dort, wo sie Minderheiten vor Diskriminierung und Gewalt schützt, sondern Lippenbekenntnisse oder Doppelmoral offenlegt. Ist doch schon witzig und absurd, wie Martin Sonneborn nach außen kommuniziert wie er EU-Steuergelder auf hirnrisssigste Weise verballert und man sich gleichzeitig darüber echauffiert, dass er diese Gelder bezieht. Merkt ihr was? Denkt ihr den einen Schritt weiter? Ist da etwa ein innerer Konflikt? Was ich damit sagen will, ist ja auch nur, dass Satire die grauen Zellen anregt (hoffentlich), und Widersprüche thematisiert. Das tut manchmal weh.

Keine Agenda? Von wegen!

Hat sich mal wer Reden von Serdar Somuncu angehört? Von wegen keine politischen Inhalte, kein Ziel. Es gibt wenige, die so konsequent Stellung beziehen wie er. Somuncu scheut nicht davor, Aussagen in den Raum zu werfen, von denen der Zuhörer entscheiden muss, ob er es ernst meint oder nicht. Was heißt hier überhaupt ernst? Ernst im Sinne von wahrhaftig? Oder ironisch? Entscheide du! Aber denk halt drüber nach und setz dich damit auseinander.

Ich sehe offen gesagt herzlich wenig Bemühungen seitens unserer parteipolitischen Mitte, dieser Verrohung in Teilen der Gesellschaft entschlossen entgegenzutreten. Eher so im Stile der klassischen “Verurteilung” von schlimmen Dingen. Lippenbekenntnisse haben wir irgendwie schon genug. Gehen beim einen Ohr rein, und ausm anderen wieder raus. Nur eine bekackte Partei scheint die komplette mediale und politische Agenda zu bestimmen, und alle eiern auf Grund deren Erfolges rum, in der Hoffnung, den ein oder anderen Wähler doch noch einzusammeln, der evtl. doch nicht ganz so krass drauf und nur rechtskonservativ ist.

So, und was macht Shahak Shapira in der Zwischenzeit? Infiltiriert zig geschlossene AfD facebook Gruppen und zeigt auf, wie social bots Propaganda und Fake News streuen. Der Vorwurf, die PARTEI und ihre SympathisantInnen täten nichts gegen den Aufmarsch der Rechten, ist gelinde gesagt ziemlich frech.

Nun hab ich mir also ne vorläufige Meinung gebildet. Und wegen Sonntag: Jeder soll wählen, was er für richtig hält. Ist es eine taktische Wahl, dann bitte. Voll ok. Jenen einen Vorwurf zu machen, die dem widerlichen AfD-Gesocks diametral gegenüber stehen und ihr Kreuz bei der PARTEI machen, find ich jedoch falsch. Ist mir lieber als derjenige, der sich gerade noch dazu durchringen kann, bei der CSU ein Häkchen zu machen, weil etabliert und so.

Abgehängt – Schicksalsjahre eines besorgten Bürgers

Die neofaschistische Bewegung in Europa und den USA (und Russland, und der Türkei, und und und) ist so gruselig stark, dass ich mir ernsthaft Sorgen mache, dass der nächste Krieg doch schneller kommt als dass uns der Klimawandel die Küsten absaufen lässt.

Rede ich vom Rechtspopulismus auf der Überholspur? Ja gewiss, aber „populistisch“ hat als Kampfbegriff längst seine Wirksamkeit durch überproportionale Verwendung eingebüßt, wohingegen „neofaschistisch“ den ideologischen Kern der aktuellen politischen Stimmung besser beschreibt. Ich vermisse ja schon fast die Eurokritik, die war vergleichsweise drollig mit ihrer Kritik am Teuro und dem Wunsch nach der guten alten Reichs- äh Deutschmark. Populistisch ist z.B. auch unser Innenminister, der durch mehr Überwachung und höhere Mindeststrafen die Kriminalitätsstatistiken senken will. Man könnte es auch Symbolpolitik nennen.

Mittlerweile beherrscht jedoch fast ausschließlich das Narrativ nationaler Abschottung und die Hierarchisierung gedachter völkischer Entitäten den politischen Diskurs. Blanke Verachtung, Hass, Spott und Gewaltbereitschaft als Mittel gegen materielle und identitäre Verlustängste.

Naja, soviel nur zur Begrifflichkeit. Aber fühlt sich schon gleich anders an, ne? Wenn man dat Kind beim Namen nennt…

Was mich eigentlich interessiert ist die Frage nach den Ursachen dieser fortwachsenden Entsolidarisierung. Ich kann jetzt schon sagen, dass ich da natürlich keine zufriedenstellende Antwort drauf hab und mir Allzweckerklärungswaffen wie Neoliberalismus, korrupte Einheitsregierung, oder trauriger Zustand der SPD nicht reichen.

Aber ich habe mir immerhin ein paar Gedanken zu zwei Ansätzen gemacht, die im politischen Diskurs immer mal wieder als Erklärungsmuster angeführt werden. Das ist zum einen ein kommunikationstheoretischer Blickwinkel auf die sogenannte Filterblase, und zum anderen die – Obacht, ich präsentiere hier einen zukünftigen Buchtitel: – die Rache der Abgehängten.

Bubble Trouble

Wir stecken in einer digitalen Echokammer fest. Wie wir reinrufen, so schallt es raus. Das ist die gängige Hypothese, die auf der Annahme beruht, dass die Nutzung sozialer Medien lediglich die eigene Meinung festigt, da abweichende Meinungen einen kaum erreichen. Wir teilen mit unseren Freunden vornehmlich ein gemeinsames Weltbild, bekommen dadurch auch stets nur Meldungen zu sehen, die dieses Bild festigen. Dazu kommen im Hintergrund arbeitende automatisierte Algorithmen, die uns Beiträge anzeigen, die wir vermutlich liken würden, weil wir ihnen zustimmen.

Ich fand diese These immer recht schlüssig. Aber dann stelle ich mir vor: Ein Nazi in einem kleinen Nazidorf mit seinen Nazifreunden, ohne Internet. Dieses arme Ding hat überhaupt keinen Zugang zu auch nur irgendeiner anderen Art von Sichtweise auf die Welt. Umgeben von immer den gleichen Leuten mit den immer gleichen Ideen, da dringt nix vor. Das Internet nun bietet zumindest die theoretische Möglichkeit, mal was anderes zu sehen. Schon klar, dass Menschen mit einer sehr gefestigten Weltanschauung generell sehr unflexibel sind was ihr Wertesystem betrifft. Aber beruhten nicht schon immer unsere Einstellungen und Werte auf unserer physikalisch erlebbaren peer group? Familie, Freunde? So schnell drängte sich da auch keine alternative Sichtweise auf die Welt rein. Insofern würde ich jetzt mal behaupten, dass uns soziale Medien trotz aller selbstreferentiellen Verstärkungsmechnismen immer noch einen Pool an erfahrbaren Deutungsmustern anbietet, durch den – wenn man schon nicht aktiv sucht – doch hin und wieder mal eine alternative Meldung zu einem durchdringt.

Wenn die sogenannte Filterblase hinsichtlich ihres Einflusses auf die politische Meinungsbildung also nicht überschätzt werden sollte, so hat hingegen die Form der Online Kommunikation und die Aufmerksamkeitslogik des flüchtigen Mediums im Allgemeinen die Art und Weise des Meinungsbildungsprozesses verändert. Ein Kommentar zu irgendeinem Thema ist schnell verfasst und in Umlauf gebracht. Oftmals dient solch ein Statement als Ventil, um seinen Emotionen Luft zu verschaffen, vielleicht hat man auch mal Bock, nach drei Weizen (keine Anspielung auf Waldi) seinen geistigen Wurstsalat in den Äther zu drücken. Irgendwer wird drauf anspringen und schon haben wir nen weiteren Strang babylonisches Rauschen, dem letztlich von einigen jedoch Bedeutung zugemessen wird. Langsam aber sicher rotten sich Gleichgesinnte zusammen und mit der Gewissheit, dass man mit seinen kruden Ansichten nicht alleine dasteht, werden undifferenzierte (ja, zuweil populistische) „Meinungen“ ständig aufs Neue hinausgeblökt, natürlich mit dem Anspruch, die einzig wahre Wahrheit auszusprechen. So entpuppt sich die Demokratisierung der Produktionsmittel als Werkzeug der Lautesten. Eine Art Gruppen-Trollerei, die alles niederschreit und, ohne den Filter unmittelbarer sozialer Verantwortlichkeit getätigter Aussagen, den politischen Diskurs vergiftet. (Dass mitnichten jeder Schreihals im Netz ein minderbemittelter Asi ist, lässt sich anekdotenhaft z.B. bei Falter Redakteur Florian Klenk nachlesen, der den Verfasser eines persönlichen Hasskommentars gegen seine Person persönlich besucht.)

So manifestiert sich eine Diskussionskultur, die sich scheinbar Stück für Stück auf die Straße überträgt. Sagbar ist plötzlich vieles: rassistische Kackscheiße ebenso wie die behämmertsten Verschwörungstheorien oder der offene Aufruf zu Gewalt. Plötzlich unterschiedet sich die Straße gar nicht mal mehr so sehr vom Online-Forum. Hat ja scheinbar keine Konsequenzen, wenn ich inhaltsleere Scheiße verbreite, im Gegenteil, irgendwer findet sich schon, der mich darin bestärkt. Und vielleicht gibt’s da draußen ja noch mehr davon. Fehlt nur noch die Partei, die dem ganzen Gesuder einen seriösen Anstrich verpasst (Na, wisst ihr welche ich meine).

Jene Parallelweltbewohner haben bereits das Vertrauen in die Lügenpresse verloren. Alles was nicht ihrer Meinung entspricht, muss falsch sein, gar hinterhältig gelogen. Festes Weltbild? Aber hallo.

Journalisten haben der klassischen Nachrichtenwerttheorie folgend eine Gatekeeper Funktion, d.h. sie filtern Nachrichten nach bestimmten Faktoren. Über diese Kriterien lässt sich trefflich streiten, und die BILD Zeitung verfolgt da durchaus andere als die Süddeutsche, aber immerhin unterwerfen sich die Massenmedien weitestgehend dem demokratischen Prinzip des Pluralismus, welcher eben mehrere Meinungen zulässt und nicht bloß eine. Und sie ballern eben nicht gleich den ersten Schwachsinn raus, der ihnen in den Sinn kommt weil sich damit mächtig auf die Tränendrüse drücken lässt (ok, da muss ich die BILD dann doch rausnehmen, die war ein blödes Beispiel, die is einfach Dreck). Gezielte Propaganda, verharmlosend als Fake-News bezeichnet, ist nicht jedem gleich als solche erkennbar, und schwuppdiwupp surfen alle auf der Empörungswelle ein Stückchen mit, bis sich herausstellt: Ach nee, stimmte ja alles gar nicht. Aber da ist der Schaden schon angerichtet. Und einige nicht ganz so Scharfsinnige kommen nie auf den Trichter. Soll ja immer noch Leute geben (HC Strache), die Satireseiten (der Postillon) für bare Münze nehmen.

Der deliberative Wert der persönlichen Filterblase ist also eher zu vernachlässigen, aber die hochgradig emotionale Logik und Kurzzeitigkeit der Kommunikation hat womöglich Auswirkungen auf die Art und Weise wie außerhalb der sozialen Medien miteinander diskutiert wird. Und da scheint Hate Speech verdammt hip geworden zu sein.

Killer Elite

Da es so schön in monokausale und einfache Erklärmuster passt, wird die Ablehnung einer wie auch immer gearteten Elite zu einer verbindenden Komponente des Protests. Daraus wurden gleich zwei Thesen geschnitzt, die in ihrer Ambivalenz kaum zu überbieten sind.

Erstens: Der abgehängte Modernisierungsverlierer fällt dem Rechtspopulismus anheim, da die Globalisierung einfach so globalisiert ohne ihn zu fragen. Zweitens: Die abgehobene linksliberale Strömung unserer Gesellschaft ist selber Schuld an dem Katzenjammer, da sie die Sorgen dieser Abgehängten einfach nicht ernst nimmt.

Also zumindest die erste These kann man doch getrost in die Tonne kloppen. Wenn man sich anschaut wer Trump gewählt hat oder die AfD, muss leider feststellen, dass sich da nicht das Prekariat versammelt (höchstens das Geistige), sondern solide Mittelschicht, für die Armut nicht mehr ist als ein Begriff. Die wollen gegen das Establishment sein? Also bitte, mehr Establishment geht ja kaum, Amerika als Realsatire: Finanzminister = Goldman Sachs Manager, Millardäre im Kabinett, ein Immobilien-Tycoon und Steuervermeider als Präsident. Wenn die Wähler es jemandem gezeigt haben, dann höchstens sich selbst. Glückwunsch!

Es scheint zum menschlichen Reflex zu gehören, bei subjektiv wahrgenommener Unsicherheit und drohendem Kontrollverlust auf sämtliche Einsichten einen dicken Haufen zu setzen und die niemals verhallenden Rufe nach mehr Nationalstaat, Volk und Autorität zu reaktivieren. Komplexität reduzieren. Sündenböcke erschaffen bzw. sich welche von jenen präsentieren lassen, die von der gesellschaftlichen Entwicklung als die Wenigen profitieren. Wenn die Dagobert Ducks dieser Welt ihren Speicher füllen zu Ungunsten der malochenden Masse, werden sie den wachsenden Unmut dieses siffigen Mobs sicher nicht durch Zugeständnisse beschwichtigen, sondern ihr einen Prügelknaben vorsetzen, auf den dann munter gemeinsam eingedroschen werden kann. Die Flüchtlings-Pinata, ein Spaß für die ganze Familie.

Bei der zweiten These tu ich mich schon schwerer. Ich bin wirklich kurz davor, mir selbst Vorwürfe zu machen, in meiner linksliberalen Denke zu verharren und Leuten, die den neoliberalen wohlstandschauvinistischen Quatsch nachplappern, den gesunden Menschenverstand abzusprechen. Und ich kann auch total die Abneigung verstehen, wenn Menschen bei bestimmten Reizwörtern gleich ohne weitere Nachfrage als per se Rechts abgestempelt werden. Ausgrenzung und Ignoranz haben nämlich leider den destruktiven Effekt eines trotzigen Reaktanz-Verhaltens, das mit der Festigung der randständigen Position einhergeht samt Erschaffung einer eingebildeten Opferrolle, die dann auch durch und durch real werden kann wenn die Etablierten dieses Narrativ weiter fleißig füttern. Ich habe schonmal angedeutet, dass ich mir selbst ankreiden muss, nicht selten die argumentative Konfrontation zu meiden, weil ich keinen Bock drauf hab. Aber muss man einer ganzen gesellschaftlichen Teilschicht eine Schuld zuweisen, die durch vermeintliche Arroganz begründet ist? Am Ende des Tages bin immer noch ich als Individuum dafür verantwortlich, ob ich ein Kreuz hinter eine menschenverachtende faschistoide hetzerische Partei setze oder nicht. Allein ich bin dafür verantwortlich. Ich, meine Erziehung und mein freies Denken, welches mich dazu befähigt, Verantwortung zu übernehmen. Zivilisation und so, war da nicht was? Dieses Argument ist letztlich natürlich ziemlich universell einsetzbar. Haben wir den Trump Salat nun wegen Big Data, fragen alle? Ich würde dann sagen: Naja, wir haben ihn, weil so viele Hirnlose ihn gewählt haben, so einfach ist das.

Nur weil ich das politische System nicht zur Gänze durchblicke, rufe ich nach einem starken Führer, der mit harter Hand durchgreift und den Laden mal richtig aufräumt? Hm, Parallelen in unserer Geschichte sind da leider unverkennbar. Es geht noch weiter. Intellektuellenfeindlichkeit, dieser Tage auch ganz groß. Wie oft wird über dahergelaufene Wissenschaftler in ihren Elfenbeintürmen abgeschrotzt, die angeblich nichts von den Problemen des kleinen Mannes verstünden. Akademiker sind wieder grundsätzlich verpönt. Was wissen die schon?!

Apropos, bin ich dann eigentlich auch Elite? Ich hab ja nen akademischen Abschluss. Prekär leb ich trotzdem, schon immer irgendwie. Im Grunde bin ich sogar ein richtiger Verlierer, der so an der Grenze von Sozialamt und Nebenjob mäandert. Andersrum hab ich Freunde, die sind Schulabbrecher und verdienen ganz gut. Und auch die sind trotz allem mündige reflektierte Individuen. Wer isn jetz eigentlich diese Elite, die an die Wand gestellt gehört?

Survival of the loudest

Was als „postfaktisch“ durch die Medien geistert und als gegenwärtiges Erfolgskonzept politischer Vortänzer beschrieben wird, könnte man auch das Recht des Lautesten nennen. Frei nach dem Programm der PARTEI: Inhalte überwinden. Hauptsache, man reißt die Schnauze ganz weit auf und schon heißts: Endlich traut sich jemand, es auszusprechen. Und ich frag mich immer: Was denn eigentlich? Dass der Islam die Weltherrschaft anstrebt? Frauen gerne vaginal betastet werden wollen? Chemtrails Pickel verursachen?

Weils so absurd ist, muss es schon stimmen. Anstatt die Fehler im System zu suchen, wird das ganze System verdammt, als hätte es die zwei Weltkriege nie gegeben und 70 relativ friedliche Jahre danach. Das Parteiensystem ist träge, ohne Zweifel, und scheinbar auch nicht sonderlich adaptionsfähig. Aber aus Ablehnung vieler scheiß Entwicklungen etwas zu befeuern, was die größte Scheiße von allem ist, kann ja wohl nicht die Lösung sein. Daher sollte man sich auch nicht diesem Haufen Scheiße hinwenden und sie weniger stinken lassen, indem man ein bisschen Parfüm drauf sprüht, sondern die Scheiße ein für alle mal wegräumen.

Aber genug der Scheiße-Analogien, auch wenn große Scheiße als Fazit durchaus herhalten würde.

Obwohl, einmal Scheiße hab ich noch: Bevor der Mensch nicht bis zum Hals in der Scheiße steckt, ändert sich nix. Das eignet sich gut als Schlusssatz, da ich nach wie vor zum zerreißen gespannt bin, aus welchen Gründen wir uns zuerst die Köpfe einschlagen werden: Klimafolgen oder Faschoregime. Insgeheim hoffe ich ja, die Flut holt mich.

Extremist ist, wer extrem ist?!

Der Blog sollte eigentlich witzig sein. Hab ich ne Zeit lang geschafft und es wird sicher auch mal wieder was zu lachen geben, aber momentan ist mir irgendwie nich so lustich trallala zumute. Mir stößt da was auf in letzter Zeit.

Als Antwort auf den Einheitsbericht der Bundesregierung, der wachsenden Rechtsextremismus im Osten als Gefahr darstellt, fällt den politischen Vorturnern erstmal nix besseres ein, über einseitige Thematisierung und Ostbashing zu jammern. Wie kann man sich als Opfer einseitiger Berichterstattung hinstellen, wo einem das Problem doch quasi ins Gesicht springt? Kein „ostdeutsches Problem“? Mag ja sein, dass auf Grund der dünnbesiedelten Landstriche die Quote rechter Gewalttaten vergleichsweise hoch ist im Gegensatz zum bevölkerungsreicheren Westen. Machts das besser? Ja wohl kaum. Im Gegenteil. Dass sich in der Walachei soviel Gesocks tummelt obwohl es kaum Fremde dort gibt, machts doch eher schlimmer. Solange das nicht eindeutig angesprochen und kritisiert wird, findet auch keine wirkliche Aufarbeitung und vernünftige Ursachenbekämpfung statt.

Ständig wird relativiert, das nervt so dermaßen. Als hätte es nie den NSU gegeben. Aber ist doch nicht alles schlecht hier, sagen die, die gerne die Augen verschließen würden. Nein, nicht alles, aber die schiere Menge rassistischer Asozialer schon. Kann man ruhig mal konstatieren. Gibt auch viele Seen in Brandenburg. Und viel Wald in Sachsen. Und eben viele Nazis. Die gerne mal was anzünden oder zuschlagen. Punkt.

Und hat Herr de Maiziére nicht auch was von linker Gewalt gefaselt, um völlig unnötig vom eigentlichen Problem abzulenken? Das wird ja ganz gerne mal gemacht. Noch eine Strategie der Relativierung. Und obendrauf, zur weiteren Relativierung der Relativierung, der Hinweis, linksextremistische Taten nicht zu verharmlosen. Was bitte? Das brennende Polizeiauto soll so schlimm sein wie das brennende Flüchtlingsheim? Sachbeschädigung gleich versuchter Mord? Ein vermummter schwarzer Block, der gegen das System anschreit, gleich ein hasserfüllter Mob, der ankommenden Geflüchteten Hasstiraden ins Gesicht brüllt? Fliegende Pflastersteine gegen gepanzerte Polizisten gleich Eindreschen auf Wehrlose anderer Hautfarbe?

Warum diese geschmacklosen Vergleiche? Sie sind ein Plädoyer für Verharmlosung! Ich bin tatsächlich Pro Verharmlosung linksextremistischer Gewalt. Würde ich es nicht tun, würde ich rechtsextremistische Gewalt verharmlosen.

Jaja, is klar. Nein, ich bin kein Polizistenhasser und ich raffe auch nicht, warum diese herhalten müssen als Feindbild von Autonomen und Krawallmachern. Ich bin nicht so der ACAB Typ, einfache Lösungen und Generalisierungen sind mir nämlich zuwider. Ehrlich gesagt hab ich mich noch nie im Leben geprügelt, ich verabscheue das.

Den Extremismus Begriff auf beide Seiten gleichermaßen anzuwenden, ist jedoch mindestens irreführend. Zumdindest sollte man sich mal die Skala ansehen, dessen äußerste Pole eben jene „Extreme“ bilden. Muss ich wirklich ans Ende der Skala wandern, um antidemokratische Einstellungen und Verhaltensweisen zu finden? Hört man sich an, was manch eine(r) sagt, aus Parteien der vermeintlichen „Mitte“ oder der salonfähig gewordenen Rotzbrühe von AfD, dann stellt man recht schnell fest: Nein! Nicht umsonst weist die Bundeszentrale für politische Bildung darauf hin: „Dass die Mitte, die als Gegenpol zu „extremus“ als nah, harmlos, gut oder respektiert verstanden wird, kann bezweifelt werden, wenn man sich erinnert, dass aus der Mitte der deutschen Gesellschaft heraus seinerzeit der Faschismus groß geworden ist.“

Üble Erkenntnis, oder? Donald Trump ist ein Faschist unserer Zeit, doch scheinbar findet sich die Hälfte der US-Amerikaner von ihm angezogen, obwohl man niederträchtiger kaum sein kann. Orban und Ungarn, die Rechtskonservativen in Polen, Erdogan und seine untertänige Türkei, lupenreiner Zar ..äh.. Demokrat Putin … is euch auch schon schlecht? Alle mit absoluter Mehrheit wohlgemerkt. Da rücken ganze Nationen mit einem riesen Satz nach rechts, und wir machen gleich mit, weils so schön ist. Da soll mir nochmal einer ernsthaft mit Linksextremismus kommen.

Politikwissenschaftler Klaus Schroeder, dessen Lehrbetrieb ich als Student selbst beiwohnen durfte, findet, dass linke Gewalt gesellschaftlich verklärt wird. Futter für alle „Ich bin ja nicht rechts, aber…“ Dummschwätzer. Er führt Statistiken an, dass die Zahl der Körperverletzungen auf beiden Seiten, rechts wie links, ähnlich hoch sei, was gleichsam den Mythos, linksextremistische Gewalt richte sich vornehmlich gegen Sachen, entkräften soll.

Zahlen alleine reichen mir aber nicht, um linke Gewalt du dämonisieren. Das Grundproblem liegt doch auf einer anderen Ebene, einer ethischen, einer der Werte und Menschlichkeit. Ich muss doch Stellung beziehen und sagen können, dass mir Rechtsextremismus, ungeachtet aller Zahlen, schlicht und ergreifend mehr Angst macht als jener von links. Die ganze Gesellschaft sollte ihn fürchten. Wenn auf Krawall gebürstete Linksautonome Scheiben von Luxusshops und Banken einwerfen, ist das zwar ziemlich panne, aber ich kann darin immer noch mehr Gesellschaftskritik erkennen als bei jenen, die „Wir sind das Volk“ johlen. Die haben zwar nix materielles kaputt gemacht, aber die sozialen Schäden sind viel verheerender. Unser ethisches Grundgefüge is völlig im Arsch. Ich brauch gar kein brennendes Flüchtlingsheim, um das zu erkennen.

Schaut man sich einmal die Definitionskriterien „politisch motivierter Kriminalität“ (PMK) beider Seiten genauer an, dann erkenne ich auch hier einen Maßstab, der in seinen destruktiven Auswirkungen auf das gesellschaftliche Miteinander unterschiedliche Qualität besitzt. In PMK-rechts werden Menschen eingeordnet, die rassistische, nationalistische und sozialdarwinistische Einstellungen an den Tag legen. PMK von links liegt vor, wenn sich die Täter irgendwie einer „linken Orientierung“ zuordnen lassen. Seriously? Ich find das ehrlich gesagt ganz schön dünn und hier wird mit zweierlei Maß gemessen. Nehmen wir doch die erste Definition nochmal her und rekapitulieren, was für Aussagen tagtäglich in unserer neuen Shootingstar Partei AfD so kursieren. Da brauch doch nur wer die Fresse aufmachen und der Grundstein für rechte Gewalt ist gelegt. Unsere besorgten Bürger sollten UNS Angst machen. Hier werden fleißig weiter die Samen gestreut, die Hass befördern und Menschenverachtung legitimieren. Dagegen macht mir der stumpfsinnige Otto, der die Sparkasse an der Ecke demoliert, wirklich keine Angst.

Ja, ich polemisiere, und mit wissenschaftlicher Auseinandersetzung hat das auch nicht viel zu tun. Ist mir klar, es geht mir auch mehr um eine gesellschaftliche Zustandsbeschreibung, die die Anwendung des „Extremismus“ Begriffs den tatsächlichen Gegebenheiten anpassen sollte. Wenn die Mitte schon rechts ist, wo befindet man sich dann als Linker?

Haten is erlaubt, gibt ja jetz die AfD.

Heute schon Kommentare im Internet gelesen? Wo es auch nur ansatzweise um Politik geht? Verliert man gleich die Beherrschung, ne? Jeder hat ne einfache Lösung parat. Und nen Schuldigen, der an die Wand gestellt gehört. Zum Schluss dann noch drauf hinweisen, dass man AfD wählt, weil die endlich mal aufräumen in der Politik. Protest! Macht mir einerseits Hoffnung, dass das Protestpotential großer Teil des Erfolgs und vergänglich ist, sobald auch sie scheitern oder im System angekommen sind (oder die Macht ergriffen haben). Dass es jedoch keine wirkliche Alternative schafft, Erfolg zu haben, ganz ohne faschistoiden Nonsense und mittelalterliche Ideen, betrübt mich.

Man, und wie die AfD gepriesen wird… als frischer Wind in der Parteienlandschaft. Gegen die Etablierten! Wo genau liegt der Unterschied zur CSU? Alte Männer mit alten Ideen, und ein paar karrieregeile Flitzpiepen. Das ist nicht neu, das ist stinkkonservativ, realitätsverweigernd und rückwärtsgewandt.

Der einzige Unterschied, den ich erkenne, ist die Verschiebung des Sagbaren. Haten ist plötzlich salonfähig. Rassistische Kackscheiße von sich zu geben, ist plötzlich politischer Widerstand. Hatten wir das nicht schonmal? Wenn man sich die Zusammensetzung der AfD ansieht, mit all den zusammengekehrten Resten vom rechten Rand, die eine neue Heimat gefunden haben, verwirrten Seelen, die glauben, in die Vergangenheit zurückkehren zu können und ein paar bankrotten Jungspunden, die mal einen auf dicke Hose machen wollen (hier ist der Unterschied zu den anderen Parteien wahrscheinlich am kleinsten), dann sollte man eigentlich erkennen, dass die „Alternative“ grau, trist und ängstlich ist.

Die Tatsache, dass jetzt auch die allerletzten Kellerkinder ans Tageslicht kommen und laut rumkrakelen, lässt uns zumindest erkennen, wie der bisher politisch apathische Rest im Inneren tickt. Ich bin versucht zu sagen: Wär der Nichtwähler lieber Nichtwähler geblieben. Aber immerhin wissen wir jetzt, welche Denke in der Mitte unserer Bevölkerung vorherrscht. Und jetz dürfen sie es endlich auch mal verbalisieren, und zwar ohne Hemmungen, denn es gibt ja das Internet als Instrument dafür. Anstandsregeln sozialer Interaktion sind außer Kraft gesetzt. Aber hey, so bekommen wir endlich mit, wie weit unsere gesellschaftspolitische Aufklärung tatsächlich fortgeschritten ist. Nicht besonders weit, würd ich sagen.

Ich will aber hier nicht den Eindruck vermitteln, dass die Schuld nur bei den einfach gestrickten Otto-Normal-Hinz-und-Kunzes aus Bauernhausen liegt und den Rattenfängern, die ihnen aus der schwarzen Seele sprechen. Natürlich hat die Politik Schuld. Nicht nur die deutsche, sondern die globale, die nach ihrem Paradigma der (leider nicht so freien und unabhängig funktionierenden) Marktwirtschaft so so viele Menschen abhängen ließ. Jaja, man kanns nicht mehr hören, aber es is eben so, und zudem der Hauptgrund für die ganze Scheiße: Die Arm-Reich-Schere klafft auseinander, die Mittelschicht rutscht ab, jeder kämpft um ein kleines Stück vom Kuchen, während die Reichen gar nicht wissen, wohin mit der Kohle, Hauptsache irgendwo, wo man nicht dran kommt.

Ich dachte ja mit Veröffentlichung der Panama Papers: Jetzt isses endlich soweit. Wir alle kriegen es auf dem Silbertablett serviert, wie abartig korrupt unser ganzes System ist. Selbst der letzte muss es nun kapieren. Jetzt muss was unternommen werden! Wie naiv von mir. Stattdessen erhöht Herr Schäuble das Kindergeld um 2 Euro. Das ändert alles.

Und die Diskussionen auf lokaler Ebene drehen sich wieder nur um den eigenen Vorgarten. Die schwarzen Drogendealer ausm Görli gehören „ausgemerzt“, die „linken Terroristen“ von der Rigaer Straße „ausgerottet“. Die kriegerische Sprache ist zurück, einfache Lösungen werden bevorzugt. Viele wünschen sich einen starken Führer mit eiserner Hand, der für Ordnung sorgt. Na wunderbar. Demokratie is halt scheiße, weil so viele Menschen anderer Ansicht sind, aber doch nur die eigene zählt. Denn schließlich könnte ja auch mein eigenes Auto irgendwann brennen, oder ein Flüchtlingsheim in meiner Nachbarschaft errichtet werden. Nee, lass ma! Die eigene Komfortzone, da darf bitte keiner dran rütteln. Und wenn doch: Volksverräter, Deutschlandhasser, Terrorist, Gutmensch!

Die Widersprüche gehen durch jeden einzelnen, aber reflektieren tun es eben nur die wenigsten. Finanzindustrie bluten lassen! Aber meinen Pensionsfonds, der auf faulen Immobilienkrediten basiert, nicht anfassen! Widerstand leisten! Aber wenn ich mit meinem Auto stecken bleibe wegen so ner blöden Demo schon wieder… in den Kerker werfen, dieses aufsässige Lumpenpack! Wat, der Ribéry verdient 12 Millionen im Jahr? Da kauf ich mir doch glatt ne Karte fürn Hunni, um den im Stadion mal live zu sehen. Naja, das führt zu weit, aber ihr wisst, was ich meine.

Nochmal zurück zur Sprache. Hört doch endlich auf, jeden Satz relativierend anzufangen mit „Ich bin ja nicht rechts, aber…“ oder „Ich hab ja nichts gegen Ausländer, aber…“, denn spätestens wenn der Satz so anfängt, endet er im genauen Gegenteil. Wenn jetzt eh alles gesagt werden darf und es auch noch parteipolitisch Gehör findet, dann haut es doch einfach raus. Sonst endet das so glaubwürdig wie hier: “Rudi M. nennt Türken „dreckige Kanaken-Wixxer, die in ihr Eselficker-Land zurückgehen“ müssten. Das solle aber „nicht heißen, dass ich rechts bin“.” Absolut nicht Rudi, du bist einfach nur ein mieses Arschloch mit einem Spatzenhirn, wobei ich den Spatz hier in Schutz nehmen muss, denn sowas würde der nicht von sich geben.

Ich bekomm solche Aussagen in abgeschwächtem Maße auch in meinem entfernten Umfeld mit, wenn ich mal meine Gutmenschen-Filterblase verlasse. Dabei versuche ich, die Hintergründe der Person zu berücksichtigen, und es gibt genug Gründe, die ich nachvollziehen kann, die diese Person zu dieser Denke bewegen. Und letztlich komme ich immer zu dem Schluss, dass es die Sorge um den eigenen Wohlstand ist, die einen umtreibt. Und da man sich immer im nahen Umfeld umschaut, wer wieviel hat, hagelt es eben keine verbale Prügel auf die Superreichen, von denen man selten einen kennt, sondern auf die, denen es noch dreckiger geht. Man kann nicht akzeptieren, dass sie einen ähnlichen Lebensstandard haben sollen, wobei man selber doch so hart dafür arbeiten musste.

Wie gesagt, ich kann das verstehen, aber leider habe ich die Erfahrung gemacht, dass man mit Argumenten oft sehr wenig erreichen kann, sein Gegenüber eine differenziertere Sichtweise annehmen zu lassen. Vielleicht tut man es ja doch, aber es ist eben nicht sofort erkennbar und es verlangt einem soviel emotionalen und empathischen Aufwand ab. Den bin ich oftmals gar nicht erst bereit zu investieren, muss ich zugeben. Ich flüchte mich in mein möchtegern-intellektuelles Gedankenparadies und denk mir: Bei dir is der Zug doch eh schon abgefahren. My bad!

Argumente sind gegen Emotionen aber eben oft auch machtlos. Warum stimmen sonst Orte im Vereinigten Königreich für den Brexit, obwohl sie größtenteils durch EU-Subventionen am Leben gehalten werden? „Make America – äh Great Britain – great again!“ Und schon wieder in der Vergangenheit geschwelgt.

Wenn die Wahl wirklich nur darin besteht, die unverbesserlichen Hater entweder abfällig und besserwisserisch durch die Blume (oder in your face) zu beleidigen oder gefühlt gegen eine Wand anzureden, wofür soll ich mich entscheiden? Tief im Inneren weiß ich, dass letzteres wünschenswerter wäre, aber es ist so anstrengend und ich will mich nicht in eine Position begeben, in der ich letztlich als naiver links-alternativer Junge hingestellt und belächelt werde. Ist es schlimm, wenn ich mir denke: Du engstirniger verbohrter Kleinbürger raffst es nicht, und du willst es einfach nicht raffen!? Ich halte mich auch komplett aus Online Diskussionen raus, weil ich realistisch genug bin zu wissen, dass es nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist und die Mühe nicht wert. Die nächsten 5 nehmen sowieso keinen Bezug drauf, sondern brüllen irgendwas dämliches in den Äther.

Das hat wenig mit Political Correctness zu tun. Mit Political Correctness habe nämlich auch ich ein Problem, denn sie fungiert wie ein Schalldämpfer, oder ein Vorhang, der verbirgt, was viele Leute eigentlich sagen, wenn sie sagen was sie sagen. Nun wird der Begriff an sich ja auch schon längst von unseren rechts-nationalen Alphatierchen gedisst. Diese verwechseln Political Correctness allerdings mit Regeln des Anstands. Der Damm ist gebrochen, unterirdischste Kommentare werden losgetreten und verstärken sich in entsprechenden filterbubbles selbst, bis alle es glauben. Das ist nicht mehr nur nicht PC, sondern total zurückgeblieben und verachtenswert.

Kaum zu glauben, dass ich vor Jahren mal politische Online Kommunikation und Faktoren, die solche Diskurse wahrscheinlicher gelingen lassen, wissenschaftlich untersucht habe. Vergeudete Lebensmüh? Kommt mir grad so vor.

Jetzt wo wir dank Online Kommentarfunktion wissen, wie die Gruppe, die lange Zeit geschwiegen hat, tickt, können wir bitte zurückkehren zu Katzenvideos und Fail-Compilations?

Mfg – Mit freundlichen Grüßen

Mfg – Mit freundlichen Grüßen

Wenn ne Mitfahrgelegenheit nicht viel schlimmer laufen kann…

Oder auch: Schicksalsstunden eines jungen Mitfahrers

Ein flüchtiger Bekannter bot mir an, mich am Vorweihnachtstag im Auto von Berlin mit nach Köln zu nehmen. Bei manchen Entscheidungen merkt man recht schnell, dass sie falsch waren. Der Ablauf in chronologischer Reihenfolge:

20 Uhr: Ein Anruf. M (so nenn ich ihn) teilt mir mit, dass es bald losgehen soll. Mit genaueren Infos hält er sich stets zurück. Ich muss ihm die meisten konkreten, aber durchaus hilfreichen Infos aus der Nase ziehen. Der Mietwagen, den sie gemietet hätten, sei am Flughafen Tegel abzuholen. Am besten träfe man sich also dort. Da ich einmal durch die ganze Stadt gurken muss, um dort hin zu kommen, mach ich mich also frühzeitig auf den Weg, weil warten lassen wär ja blöd, wenn man schon mitgenommen wird. Ich würde gleich 2 Leute warten lassen, denn er fährt mit seiner Freundin A.

Ich schreibe ihm, dass ich um 22 Uhr vor Ort sein sollte und hoffe, dass sie nicht auf mich warten müssen. Keine Reaktion. Meine Bahn hat Verspätung, ich bin paar Minuten spät dran, renne zum Mietwagenverleih-Center-Ding.

22 Uhr: Viele bunte Leuchtreklamen und Mitarbeiter in ähnlich bunten Kostümen, aber kein M. Ich rufe ihn an. Wo sie denn seien. Trockene Antwort: „Wir brauchen noch ne Weile. Aber geh schonmal zum Schalter und warte dort, damit es gleich losgehen kann.“ Das mach ich. Und warte. Und warte.

23 Uhr: M schlufft herbei und reiht sich am Schalter ein. Eigentlich ist nur eine Person vor ihm, aber es dauert ewig. M ist an der Reihe und: Es dauert ewig. Weils so ewig dauert, hört M scheinbar nicht mehr zu, denn als er mit dem Schlüssel in der Hand zum Aufbruch winkt, gehen wir planlos Richtung Parkgarage. Er hat keine Ahnung, dass es mehr Etagen gibt als nur eine. Auf Ebene 2 irren wir rum, während M fleißig über die Unfähigkeit des Mietwagenverleih-Mitarbeiters meckert. Ich sach: „Drück doch ma auf den Knopf vom Autoschlüssel, irgendwo wird’s dann schon piepen“. Macht er aus Protest nicht, scheint mir. Weil ich klüger bin als er oder so. Was weiß ich. Stattdessen vergleicht er Nummernschilder.

Wagen gefunden. Ein Fiesta. Is mir ja im Grunde wurscht, was fürn Auto, aber wie er mir die Fahrt im Vorhinein beschrieb, klang das eher so, als bretterten wir in ner Limosine nachts über die Autobahn. Mit reichlich Platz und Konfort, zügig und reibungslos. Hm ja, das wärs gewesen.

Stattdessen erstmal diverse Runden ums Auto gedreht, um eventuelle Kratzer ausfindig zu machen, die der hinterhältige Verleih uns verschweigt. Ich Trottel find dann auch noch einen aufm Dach und teil ihm meinen Fund auch noch mit. Heißt: Nochmal zurück zum Schalter und die Entdeckung mitteilen. Ist dem Typne reichlich wurscht. Wärs mir auch gewesen. Aber laut M sind alle böse und zocken einen hinterher ab.

Die Frau ruft an. A will wissen, wo wir bleiben. Sie sitzt nämlich seither im DriveNow Auto mit einer außerordentlich großen Menge an Gepäck. Aufgrund der Ladung sind sie mit nem Leihauto zum Flughafen gefahren. Mit dem Mietwagen zum Mietwagen quasi.

Wir also zum DriveNow Parkplatz, um umzupacken. A hat sichtlich keine gute Laune. Sie scheint auch jetz erst zu erfahren, dass ich mitfahre. Ihre Laune wird nicht besser. Ich merke schon, dass irgendwie Spannung in der Luft liegt. Als flockiges Kerlchen biete ich meine Hilfe beim Umpacken an. Ich trage einen Wäschekorb voll mit Schuhen in den Fiesta. Wie lange seid ihr weg? 4 Tage? Ein Korb voll Schuhe? Ähhh. Ich stell mal keine doofen Fragen. Als sie realisieren, dass sie mittlerweile für 2 Mietwagen gleichzeitig löhnen, werden sie erstaunlicherweise nicht entspannter.

Ok, Gepäck stapeln ist letztlich auch geschafft, und es kann losgehen. Theoretisch. Noch schnell den DriveNow abschließen. Geht nicht. Will nicht. Irgendein Problem. Also Kundenservice anrufen. Dieser löst das Problem, aber trotzdem steht für die beiden fest: Alle unfähig. Unfähige Mitarbeiter weit und breit.

23:30 Uhr: Ich quetsch mich hinten rein. Meine 190cm sollten A nicht entgangen sein, die sichs vorne gemütlich macht. Ich warte auf ein obligatorisches „Haste genug Platz da hinten?“, aber das kommt nicht. Also mach ich subtil auf mich aufmerksam indem ich meine Knie links und rechts am Beifahrersitz vorbeischiebe, so dass sie A im Prinzip schon als Armlehne benutzen könnte, während M sämtliche Einstellungen im Cockpit auf Wunschposition bringt. Beim rumjustieren kollidiert er mehrmals mit meinem Knie was schon halb überm Schaltknüppel hängt, so dass ich irgendwann mein Ziel erreicht habe und der Sitz vor mir kommentarlos ein Stück nach vorne rutscht.

Juchei, wir fahren! Wir rollen los, verlassen den Flughafen und an der ersten Abbiegung, die eine Entscheidung verlangt, welche Richtung man einschlägt, bleiben wir abrupt in der Mitte stehen. Wo lang eigentlich? Wo müssen wir hin? Alter, guckt man sowas nicht vorher nach? Nee, wir bleiben in der Mitte der Straßen stehen und lassen uns von hinten anhupen, während M den Schuldigen gefunden hat: Das Auto. Kein Navi. „Welches beschissene Auto hat heutzutage kein Navi?“. Berechtigte Frage, aber auch wenns eins gehabt hätte, hätte man es VOR Fahrtantritt mit Infos füttern müssen. Spätestens da hätte man dann gemerkt: Oh, kein Navi.

Wir quälen uns mit allerlei Gequengel auf die Autobahn, um an der ersten Tankstelle abzufahren. Kaffee kaufen. M ist soooo müde. Ja toll, nu fahr endlich.

24 Uhr: Wir sind tatsächlich am fahren und passieren den Stadtrand. Seit Fahrtantritt geht’s vorne nonstop ums Thema Selbstbeteiligung. Die Mietbedingungen enthalten nämlich 1000 Euro Selbstbehalt bei Schäden, erfahre ich. Eine Frechheit, findet M. Und A bekräftigt, dass sie das bei der Auswahl des Fahrzeugs extra ausgeschlossen habe. Kann doch alles nicht sein. Ja, ist aber so und ich versteh nicht, was man da noch ne halbe Stunde diskutieren muss.

Und sowieso, ein Fiesta! M ist sauer. Mit dem kann man nicht schnell fahren, weil es dann so laut wird, meint M. Was bedeutet, dass wir mit 120 nachts über die Autobahn juckeln. Vorbei die Vorstellung einer baldigen Ankunft schon jetzt. Ein Fiesta…! „Sonst hatten wir immer nen Polo. Verstehe nicht, warum wir diesmal keinen bekommen haben.“ Ich schon, aber was ich nicht versteh ist, was an nem Polo soviel besser sein soll als an nem Fiesta. Ich behalts für mich.

Selbst mit 120 scheint die Herausforderung, eine der drei Spuren zu halten, nicht zu meistern. M schlingert auf 2 Spuren gleichzeitig umher, stets die gestrichelten Linien unterm Auto. Ist er wirklich so müde oder ist das einfach sein Fahrstil? Keine der beiden Optionen kann mich beruhigen.

Der Sitzkomfort ist M ein Dorn im Auge. Hauptmakel ist, dass man die Kopfstütze nicht nach vorne verschieben kann. Hab ich noch nie bei einem Auto gesehen, dass das geht. Hoch und runter, ja. Aber nach vorne? Doofer Fiesta! Ich frag ihn, ob es nicht daran liegen könne, dass sein Sitz im 45Grad Winkel nach hinten gekippt ist und er schon halb liegt. Nein! Die Sitzposition sei nicht das Problem. Die sei gut. So gut, dass M mehrere Handtücher zusammenrollt und sich in Rücken und Nacken klemmt. Wow, super Lösung, total ergonomisch und auch überhaupt nicht bescheuert.

Ich suche nach Ablenkung. Ich hole meinen Laptop raus und sortiere meine Dateien. Wann, wenn nicht jetzt?! Plötzlich haut M in die Bremsen. „Oh, ich dachte da sei eine Blitze. Aber hier ist ja eh keine Geschwindigkeitsbegrenzung.“ Aha, und warum soll dann da ne Blitze sein?! Auch diese Frage behalte ich für mich.

M ist so müde. Also Fahrerwechsel. Vielleicht gleich noch tanken, wenn wir eh schon am Rastplatz halten? Nee, meint M, brauchen wir nicht.

Sie fährt auch nicht besser. Aber die Schlangenlinien halten sich in Grenzen. Ich suche das Gespräch, aber das ist unbefriedigend, da es immer damit endet, dass er geil ist und die anderen nicht. Also sortiere ich weiter und M schläft.

3 Uhr: Ich schaue von meinem Bildschirm auf und stelle fest, dass wir munter der A2 folgen. Immer geradeaus. Ich frage ob es sein kann, dass wir die Autobahn hätten wechseln müssen. Ich weiß es ganz genau, da man von Berlin nach Köln im Grunde nur einmal die Autobahn wechseln muss, und zwar von der 2 auf die 1, bei Dortmund. Dortmund is aber schon ne Weile hinter uns.

M wacht auf, schaut auf sein Handy-Navi und sagt: „Öh, nee, das Navi sagt, wir müssen in 15km abbiegen“. Ich denke: Klar, wenn man eine Ausfahrt nach der anderen verpasst, dann ist es immer die nächste, die man nehmen soll. Ich behalts für mich.

Ach, und die Tankanzeige blinkt schon seit geraumer Zeit.

4 Uhr: A tuckert mit 80 über die Autobahn, LKWs überholen uns. Ich glaub, sie will spritsparend fahren, in der Hoffnung, dass bald eine Tanke kommt. Ich schaue aus dem Fenster und sehe das nächste Aral-Schild vorbeiziehen. Abfahren? M meint, wir sollten mal abfahren. Clever. Sie sagt, in 3km käme ein Rastplatz mit Tankstelle. Na die 3 Kilometer schaffen wir noch. Ein kleiner Witz wird gemacht, als wir abfahren, denn die Erlösung scheint nah. Doch 10 Sekunden später is die Stimmung zum zerreißen. Keine Tankstelle. Nur ein Restaurant. M: „Was is das für ein Scheiß? Das hab ich ja noch nie erlebt: Ein Tank & Rast ohne Tankstelle!“ Habt ihr denn nicht auf die Symbole geachtet, frag ich mich. Ne Zapfsäule heißt: Tankstelle. Keine Zapfsäule heißt: Keine Tankstelle. Ich behalts für mich.

„Ich fahr weiter!“ ist M entschlossen, als ändere das was an der Menge an Sprit in unserem Auto. A sucht über Google Maps eine Tanke in der Nähe. Wir fahren an der nächsten Ausfahrt raus und finden die Tanke. Geschlossen! Kann schon mal passieren, so um 4 Uhr nachts im letzten Kaff.

Ich sehe, dass wir ein paar Kilometer vor Remscheid sind und weiß genau, dass es an der Autobahn dort ne Tankstelle gibt. Diesmal behalt ichs nicht für mich.

„Aber auf der Autobahn stehen bleiben, wär richtig scheiße. Das wird dann richtig teuer!“ ist M besorgt. Ich versteh das vollkommen, kann aber keine andere Lösung präsentieren. „Was solls, wir müssen es probieren.“

Wir fahren wieder auf die Autobahn. Wir verlassen die Beschleunigungsspur und 300m später rollen wir auf die Standspur. Das wars, kein Sprit mehr. Irgendwie passt es. Wenn sowas mal passieren musste, dann jetzt. Ein Scheiß nach dem nächsten, da war das im Grunde nur logisch.

Das war natürlich auch der Trigger, der das latente Rumgeätze der beiden in eine handfeste Schreierei ausarten lässt. A legt los: „Ich hab dir gesagt, wir sollen tanken. Aber nein, du weißt es natürlich besser.“ Und irgendwann wird’s tiefer: „Ich pack alles zusammen, kaufe alle Geschenke für deine scheiß Familie, kümmer mich um den Wagen, und du bist zu blöd zum tanken! Ich könnt so kotzen.“ Seine Antwort ist in 90% der Fälle: „Ich versteh dich ja. Aber es bringt doch jetzt nichts, sich aufzuregen. Das machts nicht besser.“ Stimme ich ihm grundsätzlich zu, jedoch sagt er das nur, um von seiner eigenen Unfähigkeit abzulenken. Untermauern tut er das noch, indem er „den Westen“ beschuldigt, keine Tankstellen zu haben. Ich bin durchs australische Outback gefahren und bin nie ohne Sprit liegen geblieben. Diese Randnotiz behalte ich für mich.

ADAC Mitglieder sind die beiden natürlich nicht. Und das wird alles unheimlich teuer. „Ruf deine ganze scheiß Familie an, ist mir scheißegal. Klingel die wach und hol uns Hilfe.“ bittet A.

Ich so: „Können wir vielleicht erstmal die Warnblinkanlage anschalten? Die LKWs, die an uns vorbeidonnern, machen mich ein bisschen unruhig.“ Auch das Warndreieck wird bald in seiner Funktion entdeckt.

M hat einen seiner Brüder erreicht. G soll uns nen Kanister Benzin bringen.

5 Uhr: Nach einer Stunde ruft M seinen Bruder an. Wo steckt er bloß? G war wohl ein bisschen aufgeregt und hat im Eifer des Gefechts seinen eigenen Wagen mit dem falschen Sprit vollgetankt. Ups. Wagen stehenlassen und den der Frau nehmen. Alle 3 Abfahrten zu früh nehmen und uns nicht finden. Nach mehreren Telefonaten dann doch endlich.

G ist ob seines Missgeschicks eigentlich recht gut gelaunt. A und M nicht so. Ich schweige nach wie vor und denke mir, dass schon längst mal eine Entschuldigung fällig gewesen wär, oder zumindest eine Bekundung des Bedauerns. Mein Entschluss steht fest: Keine müde Mark geb ich denen.

7:30 Uhr: Bringt mich heim, lasst mich raus und kommt gut nach Hause. Traute Weihnachten! Idioten!

Bier und Tischtennis

Warum nicht einfach mal über nen schönen Tag bloggen, den man hatte? Wo man abends denkt: Boah, bin ich am Arsch, aber war echt geil heut. Das sind auch meistens Tage, bei denen man es morgens noch nicht unbedingt erwartet hätte. Vielleicht liegt das daran, dass wenn man sich auf irgendwas schon lange richtig freut, der emotionale Zugewinn am Tag selber nicht mehr so großartig sein kann.

Als wir um 11 Uhr morgens den Himmel über London inspizierten, schwahnte uns böses. Sah nicht unbedingt nach Brewery Crawl aus da draußen. Einige Mikrobrauereien öffnen samstags mittags die Pforten und bieten ihre Biere der Öffentlichkeit zur Verkostung an.

Schlabber Schlabber Schleckermäulchen

Schlabber Schlabber Schleckermäulchen

Bier gleich nachm Frühstück, mhmm. Draußen im Winter. Bei dem Wetter? Naja, es klart langsam auf, die Sonne sagt Hallo. Also ab geht’s. Und der Londoner Winter ist auch nicht so furchteinflößend.

Um nach Bermondsey, den scheinbar heimlichen Hort unabhängiger Braukunst, zu kommen, überqueren wir die Tower Bridge südwärts, bis uns unter den Bahnschienen bald schon die erste Bierbankgarnitur anlächelt. Wir probieren uns durchs Biersortiment, aber so richtig vom Hocker reißt uns keins. “I don’t like yours. And I don’t like yours either. Oh, no, that’s not mine, too. I like mine. I think.”

Halt Nr.1

Halt Nr.1

Kurz Zeit zum kontemplieren über den Unterschied von Ale und Lager, Kegs und Casks, die Zutaten, Deutsches Reinheitsgebot und die eigenen Vorlieben was den Brotsaft betrifft. Kleine Gläser, große Gläser, die Mass in Bayern – dann natürlich kurz Oktoberfest, wenn man schon über Mass redet, – wieviel Kohlensäure, was heißt fruchtig…

Bevor wir es überhaupt zur zweiten Verköstigung schaffen, bleiben wir im Fressparadies hängen. Entlang der Bahngleisenüberführung drängeln sich Leute durchs Geschmacks-Schlaraffenland. Der “Ropewalk” beherbergt zwischen Grilled Cheese Sandwiches, Honig Bier und Scotch Eggs auch einen Antikladen, dem ich jedes zweite Möbelstück ohne weiteres hätte abkaufen können. Wenn ich Geld hätte.

Also weiter mit übergroßem Teller aus orientalischen Köstlichkeiten und frischen Falafeln in der Hand zum nächsten Bier. Und ach, welch Gaumenfreude uns erwartete. Ich bin ja mittlerweile soweit, mich zu gegebenem Anlass einem Guiness hinzugeben, aber so richtig geil find ichs jetz auch wieder nicht. Dort gabs sowas ähnliches, aber lecker. Wirklich fast alles, was die jungen Burschen da bei Ansbach & Hobday aus ihren Hähnen fließen lassen, schmeckt vorzüglich.

Die bunte Welt der Biere

Die bunte Welt der Biere

Entweder ist die letzte Brauerei unserer Tour der heiße Scheiß schlechthin, oder umso später, umso mehr Biertrinker auf den Straßen. Jedenfalls wird die englische Trinkkultur nun spürbarer: Möglichst früh möglichst viel Biersaft in sich reinkippen. Auf der anderen Straßenseite stehen 4 Polizeiautos und so ein paar rumlungernde Kids. Irgendwie The Wire mäßig. Aber in dieser karnevalsartigen bierseeligen Stimmung in einer übergroßen Garage wirkt die Szene surreal.

Was mir aber dann irgendwann auffällt: Dass ich mal wieder mein Winterschuhe mit Lammfelleinlagen nicht angezogen habe. Oft denk ich nicht mal für 5 Pfennig. Trottel. Auf dem Rückweg kauf ich noch schnell was geschmackvolles für den Eingangsbereich meiner Unterkunft. Will mich wer als Innenausstatter einstellen? Das wär ein Job für mich, glaub ich.

Nix gegen halbe Sachen

Nix gegen halbe Sachen

Da wusste ich noch nicht, dass der Abend der verzeitige Höhepunkt meiner aktiven Tischtennis Karriere werden würde. Die Wilton’s Music Hall hat zum Ping Pong Turnier eingeladen. Schon seit meinen ersten Tagen in dieser Stadt, in denen es mich in dieses nahegelegene Pub gezogen hat, wollte ich mir die älteste Music Hall Londons (so hat es mir zumindest mal einer erzählt) von innen ansehen. Sie ist durch einen kleinen Flur an das Pub angeschlossen und hostet vielerlei Events, seit sie mit Hilfe von engagierten Leuten aus der Gegend und Spenden wieder alten Charme versprühen darf.

Nachdem ich meiner ersten erstaunten Gegnerin erstmal die Regeln erklären musste, kam im Laufe des Turniers dann mehr und mehr das zustande, was ich als Tischtennis bezeichnen würde. Glücklicherweise konnte ich durch meinen Sieg gegen den allseits gefürchteten kleinen Jogginghosen Mann in voller Joola-Sponsoring-Montur und durch meinen sensationell groovy Auftritt das Publikum für mich gewinnen.

Ping Pong @ Wilton's

Ping Pong @ Wilton’s

Die Gründe für meine Niederlage im Finale liegen auf der Hand: Zuviel Bier in der Vorbereitung und zuviel Druck durch den Zuschauerandrang. Eine nervenzerreißende Atmosphäre. Spannung zum Anfassen. Damit kann ich nicht umgehen. Mein Gegner hat einfach sein Ding abgespult, der olle Rampensau-Routinier.

Danke an meine Fans, die waren toll! Das hat mich am nächsten Tag immer noch beeindruckt. So wie mein Muskelkater. Vom Kneipensport.

Quickie Impressions

Ich wollte ein Bankkonto eröffnen vor kurzem. Dazu hatte ich mir einen Termin bei Barclays gemacht, einer der größten Finanzinstitute Großbritanniens und eigentlich schon längst kaputt, wenn der Stabilitätspakt es nicht vor dem Untergang gerettet hätte. Als einflussreichstes Unternehmen der Welt gibt man sich aber natürlich nach wie vor nicht mit so belanglosen Kröten wie mir ab.

So eine Bank sieht von innen bisschen aus wie eine hässliche Hotellobby: steril, ungemütlich, und von oben bis unten durchdesignt. Ein überfreundlicher Empfangsmensch erzählt mir: Jaja, kein Problem, wir brauchen nur eine ID und nen Wisch mit meiner Adresse drauf. Na easy, denk ich, läuft.

Der Anzug-Roboter, der mich zu seiner Schreibtisch-Nische führt, beginnt einsilbig: “Sorry for keep you waitin, Mr. Schilling. Follow me, please!” Dabei hab ich noch nicht mal gewartet und ich war früher dran als eigentlich ausgemacht. Aber erstmal Standardphrase runterdreschen. Mit seinem gelangweilten Bubi-Face grabscht er mir alle Unterlagen aus der Hand, die ich mitgebracht habe und fügt beiläufig hinzu, ohne dass es ihn im geringsten interessiert: “Good day?” Dabei glotzt er schon längst wieder kaugummikauend auf seinen Bildschirm, mit sich niemals änderndem bored face. Ich kann seine Empathie förmlich riechen.

Ich habe einen Arbeitsvertrag und eine persönliche Nachricht meines Chefs mitgebracht, was bei allen meinen Kollegen bei allen anderen Banken gereicht hat. “Your employer is not on our list of employers. There is nothing I can do for you.” Bäm, und tschüss. “I’m sorry!” Ja natürlich, trifft ihn sicherlich mitten ins Herz. “Have a good day!” Wollen wir nochmal drüber reden? Oder wie unflexibel seid ihr? Aber ich will eh schon längst da raus.

Sowieso kommt mir die Londoner City mit all seinen gläsernen Hochhäusern, Anzug-Menschen und Shopping-Zombies vor wie ein einziges Krebsgeschwür. Ich stell mir vor, wie von hier aus die halbe Weltwirtschaft in die Tonne getreten wurde. Und das Geschwür wächst immer weiter und weiter. Scheinbar lässt sich inmitten interkultureller Subkulturen und urbaner Anonymität genauso ungeniert die Solidargemeinschaft prellen wie auf karibischen Offshore Inseln, die man auf Anhieb nicht mal auf der Weltkarte finden würde.

Jedoch hat die alte City auch richtig tolle Seiten. Eine Jack the Ripper Walking Tour sollte uns einen Eindruck vom düstereren und verwinkelten Teil der Stadt geben. Und das hat sie auch getan, obwohl der Tourguide die meiste Information nur in seinen Bart genuschelt hat und uns bei eisiger Kälte Ewigkeiten die Themse hat entlang latschen lassen, so dass die Gruppe von 25 Leuten nach kürzester Zeit auf eine Handvoll zusammengeschrumpft war.

Das älteste Pub Londons sollte man aber durchaus mal besucht haben, ein sehr sehr cooles Kellergewölbe auf mehreren Ebenen, wo man sich alle 2 Meter hart die Birne anstoßen kann wenn man nicht aufpasst. Dort ausgestellt in ausgestopfter Form ist ein Papagei, der früher wohl ständig die Gäste beleidigt hat wenn sie reinkamen. Schade, dass der schon tot war, das hätte mich sehr amüsiert.

Die ganzen Pubs laden einen auch wirklich zum Bier trinken ein. Wenn das Gesöff an überdimensionalen Knüppeln ins Glas gepumpt wird, macht mich das immer auch ein bisschen an. Und Cider trinken tu ich neuerdings auch. Wusst nich, dass das so super is. Wie Apfelschorle mit Effekt.

Die englische Kultur hat schon seine herzigen Seiten und ich fühl mich wohl hier. Bloß zu voll hier. Stundenlang durch die Schächte irren, nur um die U-bahn-Linie zu wechseln, und so ne Späße, das wär mir auf Dauer too much. Soviel mal als kleines Update für alle, die es tatsächlich interessiert…

Architektur in Canary Wharf

Architektur in Canary Wharf

Greenwich

Greenwich

Fluss halt

Fluss halt

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Ein gewisses Maß an Selbstzerstörung

Ich hab ja gedacht, Berlin sei ne Großstadt, aber wenn man sich mal auf London einlässt, stelllt man schnell fest, wie gemütlich die deutsche Hauptstadt eigentlich ist. Also erstmal bin ich vor allem kontinuierlich auf der Hut, nicht überfahren zu werden. Der Verkehr ist lächerlich, das Recht des Stärkeren wird hier relativ ausgiebig zelebriert. Auf dem Fahrrad nimmt das Ganze dann auch mal ziemlich suizidale Züge an. Und damit meine ich nicht den Linksverkehr, sich darüber zu beklagen, wär lame und alt.

Die öffentlichen Verkehrsmittel gehen immer und überall vor, da wird man als Radfahrer auch schonmal abgedrängt, wenn man einem Busfahrer oder Taxi nicht passt. Wenn man im Augenwinkel den Doppeldecker hinter sich drängeln sieht und er sich daran versucht, dich innen zu überholen, macht man dann auch schonmal freiwillig Platz. Als überzeugter Radler fällt es mir nicht leicht das zu sagen, aber es sind auch die Fahrradfahrer hier, die zum Kampf geradezu auffordern. Ohne Rücksicht auf (eigene) Verluste brettern die mit ihren teuren Rennmaschinen und völlig unkontrolliert durch Autos hindurch und über Kreuzungen hinweg, dass es einem schlecht wird. Die Blumen, die hier ums Eck an der Laterne hängen, sollten einem eigentlich Warnung genug sein.

Wenn ich aber von ArbeitskollegInnen höre, was morgens an ihren U-Bahn-Stationen los ist (wartendende Pendler, die auf der Straße drängeln, um überhaupt runter in die Schächte vorzudringen), weiß ich wieder sofort, warum ich das tue. Darauf hätte ich ja noch viel weniger Bock als mich mit dem motorisierten Verkehr anzulegen.

Allzu viel hab ich von der Stadt noch nicht gesehen, muss ich zugeben, aber Schritt für Schritt versuche ich, die Gegend zu erschließen. Angefangen mit nem abendlichen Spaziergang in der nördlichen Hood rund um Tower Bridge. Die Architektur bei Nacht hier ist unglaublich. Hört man wahrscheinlich nicht oft als eine der ersten Attribute über diese Stadt, aber die ist einfach mal echt schön.

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Triple Rainbow, all the way!

Island 2014: Ein uninformativer Reisebericht mit halbwegs guten Fotos


 

Schonmal bei 3 Grad Celsius und eisigem Wind gezeltet? Ich auch nicht, bis ich mich spontan entschied, mit zwei Freunden (die sich vorher nicht kannten) diesem Island einen Besuch abzustatten. Das Island, was angeblich boomt. Was das heißt, kann man sich aber im Grunde vorstellen: 10-Tage-Bustour unter Anleitung, mit Übernachtung im 4-Sterne-Hotel, Abenteuer-Exkursionen im beheizten Jeep, und einem Satz langer Unterhosen für die Überraschten („Oh, is ja kalt hier“) wenn man doch mal das Auto verlassen muss.

Meine 2 Wurstköppe von Begleitern

Meine 2 Wurstköppe von Begleitern

Regen oder nich Regen? Das is öfters mal die Frage.

Regen oder nich Regen? Das is öfters mal die Frage.

Für viele ist der Ort aber zugegebenermaßen noch ein Paradies für Experimente und eine gewollte Gelegenheit, den inneren Schweinehund herauszufordern. Für mich bedeutete das durchaus einfach mal, mit 2 Paar Socken, Mütze und Fleece zu campen, am nächsten Morgen bei eisigem Wind möglichst schnell Porridge (gabs jeden Tag) herzustellen und sich dann von der Heizung im Auto langsam wieder auf Temperatur  bringen zu lassen. Ok, wir haben nur die Hälfte der Nächte unserer Woche dort im Zelt verbracht, weil war ja auch Urlaub irgendwie, oder sollte es zumindest sein. Ich fand die Mischung gut, der eine wollte es mehr hardcore, der andere lauschig warm wenn immer es ging. Bei den Preisen dort wird man außerdem nicht nur komfortabstinent, sondern überlegt sich mehrmals ob man denn jetzt unbedingt ein Bier für umgerechnet 7 Euro trinken muss. Also, zumindest hab ich mir das gedacht. Die anderen beiden haben einfach bestellt und sich nachher empört, als wär nur ausgerechnet dort so schweineteuer: “Man, das glaubst du nicht. Das kleine Bier hat 5 Euro gekostet.” – “Doch, glaub ich. Mit ein Grund, warum ichs hab sein lassen.” Ein bisschen back-to-the-roots halt im Endeffekt, auch wenn das nur im Hinblick auf unsere verwöhnt-hedonistische westeuropäische Lebensweise gelten kann, schätz ich.
Irgendwo hatten wir gelesen, die isländische Mentalität gegenüber Touristen ließe sich mit „distanzierter Freundlichkeit“ umschreiben. Fanden wir passend. Auch wenn die erste Interaktion so aussah: Am Flughafen angekommen, geht einer von uns zum Taxifahrer draußen vor der Tür.
„Excuse me, is it possible to pay with Euro? We are not sure if the airport is the right place to change money…“
– „What? You come to Iceland and worry about 2 Euros? Are you going to lose your house now?“
Wo genau is jetz die Freundlichkeit in „distanzierter Freundlichkeit“? Oder die Distanz?
Naja, wir haben dann Geld getauscht und nen anderen Taxifahrer erwischt, der schon mehr Freundlichkeit an den Tag gelegt hat. So freundlich, dass er in suizidal-rücksichtsvoller Weise sogar einer die Straße kreuzenden Katze das Leben gerettet hat durch ein Ausweichmanöver, welches im Gegenzug fast vier erwachsenen Menschen Kopf und Kragen gekostet hätte. Seine Erklärung hatte allerdings was für sich und stieß bei uns auf vollstes Verständnis:
„Yesterday I had my kids in the car and drove over a duck. I never want to have this situation again.“ Wir sind zwar nicht seine Kinder, aber ok, ich mag Menschen die Rücksicht nehmen. Rücksicht is besser als Vorsicht. Nee, andersrum. Nee, auch nicht.
Im Hostel, welches in den allermeisten Fällen wohl eher als Durchgangsstation zum oder vom Flughafen dient („it used to be for people seeking Asylum“), waren wir die einzigen auf weiter Flur, so dass wir den ersten Porridge des Urlaubs richtig zelebrieren konnten, bevor wir den Mietwagen abholten.

Wie inner Werbung. Marke verrat ich aber nich.

Wie inner Werbung. Marke verrat ich aber nich.

Dieser sollte uns gleich am zweiten Tag treue Dienste erweisen als wir über die reudigsten Pisten auf Abraten aller Allradfahrer und ausdrücklichem Verbot der Mietfirma (wie gut, dass meinen Blog niemand liest außer mir selbst) das wunderschöne Wanderparadies Landmannalaugar ansteuerten. Achso, ich will ja der Chronologie halber nix unterschlagen hier: Tag 1 bestand aus dem sogenannten „Goldenen Zirkel“, mit Phingvellir Nationalpark (Aufeinandertreffen der tektonischen Platten, erstes Parlament und Hexenverbrennung und so), Gullfoss Wasserfall (ähnlich viel Wasserdurchlauf wie bei den Niagarafällen, jaja) und Geysir, einem Geysir (und Menschen rund herum, die mit ihrem Finger auf dem Auslöser auf die riesige Ejakulation warten). War ja alles ganz schön, aber richtig toll kann es nirgendwo sein, wo Busladungen an Menschen aus- und wieder einsteigen, man Geld für die Benutzung der Toilette zahlen muss und lächerlich teure Snacks angeboten werden. Obwohl der Wasserfall, der war schon ziemlich geil.

Gullfoss

Gullfoss

Daher zurück zu Landmannalaugar (zum Glück muss ich das Wort nur schreiben und nicht aussprechen. Da hat je nach linguistischer Herkunft ziemliche Narrenfreiheit geherrscht). Berge wie mit buntem Mehl überzogen, Lavawüsten, Moosfelder… und heiße Quellen. Im Tal wartete ein dampfender Fluss, in den man seine von der Wanderung geschundenen Gliedmaßen tauchen konnte und aus dem man eigentlich auch nie wieder raus wollte. Schon auf dem Weg zurück zum Zelt sind mir die Füße einfach eingefroren. Was auch daran gelegen haben könnte, dass ich besonders lässig zurückspaziert bin, um hart zu wirken.

Landmannadingsbums

Landmannadingsbums

Inception: A photographer within a photo of a photographer

Inception: A photographer within a photo of a photographer

Unser internetaffines (freundlich ausgedrückt) Mitglied der Gruppe lotste uns am nächsten Tag (war dann nur noch ein halber Tag nachdem wir unser armes Auto wieder zurück über Stock und Stein peitschen mussten) zu einem Flugzeugwrack aus dem Zweiten Weltkrieg. Am schwarzen steinigen Strand hat es seine letzte Ruhestätte gefunden und wurde zum beschmieren und ausschlachten freigegeben. Trotzdem hatte der Anblick was surreales. Wie inmitten einer Mondwüste tauchte das Wrack plötzlich vor den brechenden Wellen des kalten Atlantiks auf.

Wo immer eine Kamera war, hielt er seine Fresse rein

Wo immer eine Kamera war, hielt er seine Fresse rein

Tag 4 bescherte uns dann einen unverhofften Sonnentag und eine unfassbar spektakuläre Wanderung auf einen der vielen Gletscher: Skaftafell. Was mit einem Spaziergang durch bunte Wiesen begann, endete mit einem steilen Aufstieg auf losem Geröll und durch pappigen Schnee. Ich hab was witziges in das Gästebuch aufm Gipfel geschrieben. Wer demnächst mal da is, kann es dann lesen, ne.

Aufm Weg runter

Aufm Weg runter

Nächstes Highlight: Jokulsalon (flacherweise von uns Friseursalon genannt, denn so wussten wir, dass wir über das gleiche sprechen), der bekannte Gletschersee, der übrigens auch als Drehort für einen Bond-Film hergehalten hat. Da wo Pierce Brosnan mit seinem Aston Martin durch den Eispalast brettert um die Halle Berry vorm Ertrinken zu retten, während der Bösewicht auf seinem Eisgefährt durch die Eisberge braust. Haareraufende Action. Hab ich erst paar Tage nach meiner Reise im ZDF-Montagskino gesehen und gleich wiedererkannt.

Dreckisches altes Eis

Dreckisches altes Eis

Der Eisbergsee markierte zugleich den östlichsten Punkt unserer Reise und von da an machten wir uns wieder auf den Rückweg in Richtung Reykjavik. Über den südlichsten Punkt der Insel, wenn wir schon dabei sind. So ein Kap bzw. ne Küste wie ich sie mir in Irland vorstelle. Ich war zwar noch nie in Irland, aber so muss es da sein: Rau, windig, regnerisch, bisschen grün und auch grau, und viele Felsen. Dort erzählte uns auch eine Frau, um deren Meinung wir eigentlich nicht explizit gebeten hatten, dass ihre Freunde einmal 900 Euro Strafe an die Mietwagenfirma zahlen mussten, nachdem diese per GPS nachvollziehen konnte, welche verbotenen Holperpisten befahren wurden. Nach dieser Info haben wir uns unverzüglich gegenseitig eingeredet, dass unser Gefährt sicherlich nicht im Besitz eines solchen Peilsenders ist. Womit wir glücklicherweise Recht behalten sollten.

Am Skogarfoss, einem ganz und gar eindrucksvollen Wasserfall nächtigten wir schließlich in einem Hostel, wo wir zuerst Kontakt zu einem menschlichen holländischen Wesen in Form einer längeren Konversation aufnahmen und sinnloserweise den Tag mit nem Tom Cruise Blockbuster beendeten. Weils halt möglich war. PayTV.

Da hätte sich Peter André mal drunter stellen sollen

Skogarfoss: Da hätte sich Peter André mal drunter stellen sollen

Die letzte Wanderung am darauffolgenden Tag erforderte uns einiges ab. Ein Stück echtes Abenteuer, als wir zu einer Hütte am Berg marschierten, knietief im Schnee, ohne Plan wie wir eine kleine Schlucht überwinden sollten, da der Schnee den Pfad nicht erkennen ließ. Wir probierten dann unser Glück mit den aufmunternden Worten meines Kumpanen: „Wenn wir das jetzt versuchen, widerspricht das allem, was ich jemals in den Bergen gelernt habe.“ Geil, los! Wir habens geschafft, nervös war ich aber schon. In der Zwischenzeit haben sich Schneesturm und praller Sonnenschein im Minutentakt abgewechselt. Unberechenbar, dieses Island.

Einer der besten Wow-Momente für mich

Einer der besten Wow-Momente für mich

Seht ihr? Keine Spuren vor uns!

Seht ihr? Keine Spuren vor uns!

Meine Fersen sahen danach jedenfalls aus wie fies gefoltert und entstellt, und unsere Wanderschuhe verströmten ein sinnliches Aroma im Auto auf der Fahrt nach Reykjavik, unserer letzten Station. Der letzte Tag hatte dann in etwa folgenden Ablauf: Porridge, klitschnass nach 2 Minuten im Regen, Auto nehmen, 10 Minuten später Auto wieder zurückfahren weil kein Parkplatz gefunden, kein Regen mehr, Museum, die gleiche Straße zum fünften Mal entlang gehen, Kuchen vertilgen, darüber klagen wie teuer alles is, trotzdem wieder delikat speisen, ins Kino gehen, zum Flughafen fahren und Auto irgendwo abstellen („Ihr könnt den Schlüssel einfach stecken lassen“. Aha!).
Mutter Natur hat uns einige neue Dinge gelehrt. Ich glaube, schon die Vikinger haben große Augen gemacht, als ihnen der sturmartige Wind das Pipi in unendliche kleine Partikel zerstäubte. Wie gut, dass es heutzutage Regenhosen gibt, die keine Spuren hinterlassen. Und was gabs noch? Achja: Regenbögen bis zum Erbrechen.