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Tag Archives: afd

PARTEI wählen geht nich? Nich jetz?

Die letzten Tage habe ich viel darüber nachgedacht, ob man die PARTEI wählen darf oder nicht. Auslöser war ein Kommentar in der taz bzw, der bestätigende Kommentar einer Freundin von mir zu diesem Kommentar. Beide meinten: Geht gar nicht!

Mit dem Zusatz: Vor allem nicht jetzt zu diesem Zeitpunkt. Wo doch die AfD in den Bundestag einzieht. Wenn wir unsere Stimme verschwenden an eine Partei, die eh an der 5% Hürde scheitern wird, dann ist es schließlich eine vergeudete Stimme, die hätte helfen können, die AfD nicht stärker zu machen als sie es ohnehin schon wird. Das Argument des taktischen Wählens ist ja bis hierher erstmal nix neues. Gebe ich meine Stimme einer etablierten Partei, auch wenn sie nicht meine erste Wahl ist, um das größere Übel einzudämmen? Kann man machen. Wenn es sich halbwegs richtig anfühlt…

Der Vorwurf an PARTEI WählerInnen geht jedoch weiter. Im Kern seien diese elitäre überhebliche Hedonisten, denen die Demokratie am Arsch vorbeiginge, da die PARTEI für nix stehe außer einer destruktiven Haltung zum Politikbetrieb. In der Tat bietet deren Wahlprogramm dem ernsthaft Interessierten keine seriösen Lösungskonzepte, sondern eine Mischung aus Klamauk und Trollerei. Ist es daher vielleicht wirklich verachtenswert, bei denen mein Kreuz zu machen? Weil sich die PARTEI für nix einsetzt, keine konkreten Ziele verfolgt, und sich inhaltlich darin erschöpft, andere durch den Kakao zu ziehen?

Is was dran

Ich wollte das Argument so gelten lassen. Dachte: Ja, irgendwie isses schon wahr. Bin ich tatsächlich einfach nur politikverdrossen und zeige meinen Protest, indem ich zwar keine braune Gülle wähle, stattdessen aber nihilistisch angehauchten Quatsch, der mich ein wenig besser fühlen lässt, weil wir ganz einfach über allem drüber stehen und es eben besser wissen? Ohne eine Lösung vorzuschlagen, aber sich lustig machen über die, die es wenigstens probieren?! Und das in einer Zeit, in der Faschos und Neonazis eine politische Heimat gefunden haben, die es spätestens jetzt endlich zu bekämpfen gilt?

Tief in mir hab ich gleich eine leichte Unruhe gespürt. Es fühlt sich nicht richtig an, von anderen zu verlangen, von Angst getrieben eine Entscheidung zweiter oder dritter Klasse zu treffen. Schließlich sind die Tatsachen doch auf dem Tisch. Ein erschreckend großer Teil unserer Gesellschaft hat scheinbar kein Problem damit, Nazis, Rassisten, Antisemiten und Faschisten ins Parlament zu wählen. Von Hass zerfressene geifernde und sabbernde Menschen musste man da im Fernseher sehen. Das sind wohl die, die hoffnungslos verloren in ihrer eigenen Welt umherwandeln. Und dann gibt es aber noch die „Besorgten“ oder wie auch immer man die nennt, die sich um den deutschen Rentner sorgen, während der Flüchtling alles bekommt. Oder der einfach keine Ausländer mag, auch wenn ers nicht sagt. Die gibt es da draußen. Viel zu viele. Die sind da.

Wo es weh tut

Wenn ich mein Kreuz bei der PARTEI mache, dann mache ich mich also mitschuldig? Weil ich es zulasse, dass die AfD noch einen Sitz im Parlament mehr bekommt? Echt jetzt? Also, ich versteh das zu 100%, dass besonders Menschen (z.B. meine besagten Freunde), die sich täglich im politischen Betrieb einsetzen, sich vor den Kopf gestoßen fühlen, wenn andere Leute ihr Kreuz setzen bei einem Verein, der so ganz und gar jenseits der eigenen Handlungsweisen agiert. Das muss frustrierend sein, wenn man tagtäglich sisyphus Arbeit leistet, und dann rollt da ne Horde Komiker über alles drüber. Ich will auch niemanden von ihnen absprechen, dass sie wertvolle Überzeugungsarbeit leisten und an einer besseren Gesellschaft arbeiten (wollen).

Nur bin ich überzeugt, dass es Satire und gerne auch mal ne brachiale Ansage braucht, damit wir ans Denken kommen. Den Finger in die Wunde legen und nochmal beherzt zudrücken. Und ich rede hier nicht von Das-wird-man-doch-noch-mal-sagen-dürfen Nazischeiße, die auf einer faschistoiden Verbrecherlogik beruht, sondern beispielsweise jener Art der politischen Unkorrektheit, die die Sprache als unhinterfragten Schutzmantel entlarvt, aber nicht dort, wo sie Minderheiten vor Diskriminierung und Gewalt schützt, sondern Lippenbekenntnisse oder Doppelmoral offenlegt. Ist doch schon witzig und absurd, wie Martin Sonneborn nach außen kommuniziert wie er EU-Steuergelder auf hirnrisssigste Weise verballert und man sich gleichzeitig darüber echauffiert, dass er diese Gelder bezieht. Merkt ihr was? Denkt ihr den einen Schritt weiter? Ist da etwa ein innerer Konflikt? Was ich damit sagen will, ist ja auch nur, dass Satire die grauen Zellen anregt (hoffentlich), und Widersprüche thematisiert. Das tut manchmal weh.

Keine Agenda? Von wegen!

Hat sich mal wer Reden von Serdar Somuncu angehört? Von wegen keine politischen Inhalte, kein Ziel. Es gibt wenige, die so konsequent Stellung beziehen wie er. Somuncu scheut nicht davor, Aussagen in den Raum zu werfen, von denen der Zuhörer entscheiden muss, ob er es ernst meint oder nicht. Was heißt hier überhaupt ernst? Ernst im Sinne von wahrhaftig? Oder ironisch? Entscheide du! Aber denk halt drüber nach und setz dich damit auseinander.

Ich sehe offen gesagt herzlich wenig Bemühungen seitens unserer parteipolitischen Mitte, dieser Verrohung in Teilen der Gesellschaft entschlossen entgegenzutreten. Eher so im Stile der klassischen “Verurteilung” von schlimmen Dingen. Lippenbekenntnisse haben wir irgendwie schon genug. Gehen beim einen Ohr rein, und ausm anderen wieder raus. Nur eine bekackte Partei scheint die komplette mediale und politische Agenda zu bestimmen, und alle eiern auf Grund deren Erfolges rum, in der Hoffnung, den ein oder anderen Wähler doch noch einzusammeln, der evtl. doch nicht ganz so krass drauf und nur rechtskonservativ ist.

So, und was macht Shahak Shapira in der Zwischenzeit? Infiltiriert zig geschlossene AfD facebook Gruppen und zeigt auf, wie social bots Propaganda und Fake News streuen. Der Vorwurf, die PARTEI und ihre SympathisantInnen täten nichts gegen den Aufmarsch der Rechten, ist gelinde gesagt ziemlich frech.

Nun hab ich mir also ne vorläufige Meinung gebildet. Und wegen Sonntag: Jeder soll wählen, was er für richtig hält. Ist es eine taktische Wahl, dann bitte. Voll ok. Jenen einen Vorwurf zu machen, die dem widerlichen AfD-Gesocks diametral gegenüber stehen und ihr Kreuz bei der PARTEI machen, find ich jedoch falsch. Ist mir lieber als derjenige, der sich gerade noch dazu durchringen kann, bei der CSU ein Häkchen zu machen, weil etabliert und so.

Abgehängt – Schicksalsjahre eines besorgten Bürgers

Die neofaschistische Bewegung in Europa und den USA (und Russland, und der Türkei, und und und) ist so gruselig stark, dass ich mir ernsthaft Sorgen mache, dass der nächste Krieg doch schneller kommt als dass uns der Klimawandel die Küsten absaufen lässt.

Rede ich vom Rechtspopulismus auf der Überholspur? Ja gewiss, aber „populistisch“ hat als Kampfbegriff längst seine Wirksamkeit durch überproportionale Verwendung eingebüßt, wohingegen „neofaschistisch“ den ideologischen Kern der aktuellen politischen Stimmung besser beschreibt. Ich vermisse ja schon fast die Eurokritik, die war vergleichsweise drollig mit ihrer Kritik am Teuro und dem Wunsch nach der guten alten Reichs- äh Deutschmark. Populistisch ist z.B. auch unser Innenminister, der durch mehr Überwachung und höhere Mindeststrafen die Kriminalitätsstatistiken senken will. Man könnte es auch Symbolpolitik nennen.

Mittlerweile beherrscht jedoch fast ausschließlich das Narrativ nationaler Abschottung und die Hierarchisierung gedachter völkischer Entitäten den politischen Diskurs. Blanke Verachtung, Hass, Spott und Gewaltbereitschaft als Mittel gegen materielle und identitäre Verlustängste.

Naja, soviel nur zur Begrifflichkeit. Aber fühlt sich schon gleich anders an, ne? Wenn man dat Kind beim Namen nennt…

Was mich eigentlich interessiert ist die Frage nach den Ursachen dieser fortwachsenden Entsolidarisierung. Ich kann jetzt schon sagen, dass ich da natürlich keine zufriedenstellende Antwort drauf hab und mir Allzweckerklärungswaffen wie Neoliberalismus, korrupte Einheitsregierung, oder trauriger Zustand der SPD nicht reichen.

Aber ich habe mir immerhin ein paar Gedanken zu zwei Ansätzen gemacht, die im politischen Diskurs immer mal wieder als Erklärungsmuster angeführt werden. Das ist zum einen ein kommunikationstheoretischer Blickwinkel auf die sogenannte Filterblase, und zum anderen die – Obacht, ich präsentiere hier einen zukünftigen Buchtitel: – die Rache der Abgehängten.

Bubble Trouble

Wir stecken in einer digitalen Echokammer fest. Wie wir reinrufen, so schallt es raus. Das ist die gängige Hypothese, die auf der Annahme beruht, dass die Nutzung sozialer Medien lediglich die eigene Meinung festigt, da abweichende Meinungen einen kaum erreichen. Wir teilen mit unseren Freunden vornehmlich ein gemeinsames Weltbild, bekommen dadurch auch stets nur Meldungen zu sehen, die dieses Bild festigen. Dazu kommen im Hintergrund arbeitende automatisierte Algorithmen, die uns Beiträge anzeigen, die wir vermutlich liken würden, weil wir ihnen zustimmen.

Ich fand diese These immer recht schlüssig. Aber dann stelle ich mir vor: Ein Nazi in einem kleinen Nazidorf mit seinen Nazifreunden, ohne Internet. Dieses arme Ding hat überhaupt keinen Zugang zu auch nur irgendeiner anderen Art von Sichtweise auf die Welt. Umgeben von immer den gleichen Leuten mit den immer gleichen Ideen, da dringt nix vor. Das Internet nun bietet zumindest die theoretische Möglichkeit, mal was anderes zu sehen. Schon klar, dass Menschen mit einer sehr gefestigten Weltanschauung generell sehr unflexibel sind was ihr Wertesystem betrifft. Aber beruhten nicht schon immer unsere Einstellungen und Werte auf unserer physikalisch erlebbaren peer group? Familie, Freunde? So schnell drängte sich da auch keine alternative Sichtweise auf die Welt rein. Insofern würde ich jetzt mal behaupten, dass uns soziale Medien trotz aller selbstreferentiellen Verstärkungsmechnismen immer noch einen Pool an erfahrbaren Deutungsmustern anbietet, durch den – wenn man schon nicht aktiv sucht – doch hin und wieder mal eine alternative Meldung zu einem durchdringt.

Wenn die sogenannte Filterblase hinsichtlich ihres Einflusses auf die politische Meinungsbildung also nicht überschätzt werden sollte, so hat hingegen die Form der Online Kommunikation und die Aufmerksamkeitslogik des flüchtigen Mediums im Allgemeinen die Art und Weise des Meinungsbildungsprozesses verändert. Ein Kommentar zu irgendeinem Thema ist schnell verfasst und in Umlauf gebracht. Oftmals dient solch ein Statement als Ventil, um seinen Emotionen Luft zu verschaffen, vielleicht hat man auch mal Bock, nach drei Weizen (keine Anspielung auf Waldi) seinen geistigen Wurstsalat in den Äther zu drücken. Irgendwer wird drauf anspringen und schon haben wir nen weiteren Strang babylonisches Rauschen, dem letztlich von einigen jedoch Bedeutung zugemessen wird. Langsam aber sicher rotten sich Gleichgesinnte zusammen und mit der Gewissheit, dass man mit seinen kruden Ansichten nicht alleine dasteht, werden undifferenzierte (ja, zuweil populistische) „Meinungen“ ständig aufs Neue hinausgeblökt, natürlich mit dem Anspruch, die einzig wahre Wahrheit auszusprechen. So entpuppt sich die Demokratisierung der Produktionsmittel als Werkzeug der Lautesten. Eine Art Gruppen-Trollerei, die alles niederschreit und, ohne den Filter unmittelbarer sozialer Verantwortlichkeit getätigter Aussagen, den politischen Diskurs vergiftet. (Dass mitnichten jeder Schreihals im Netz ein minderbemittelter Asi ist, lässt sich anekdotenhaft z.B. bei Falter Redakteur Florian Klenk nachlesen, der den Verfasser eines persönlichen Hasskommentars gegen seine Person persönlich besucht.)

So manifestiert sich eine Diskussionskultur, die sich scheinbar Stück für Stück auf die Straße überträgt. Sagbar ist plötzlich vieles: rassistische Kackscheiße ebenso wie die behämmertsten Verschwörungstheorien oder der offene Aufruf zu Gewalt. Plötzlich unterschiedet sich die Straße gar nicht mal mehr so sehr vom Online-Forum. Hat ja scheinbar keine Konsequenzen, wenn ich inhaltsleere Scheiße verbreite, im Gegenteil, irgendwer findet sich schon, der mich darin bestärkt. Und vielleicht gibt’s da draußen ja noch mehr davon. Fehlt nur noch die Partei, die dem ganzen Gesuder einen seriösen Anstrich verpasst (Na, wisst ihr welche ich meine).

Jene Parallelweltbewohner haben bereits das Vertrauen in die Lügenpresse verloren. Alles was nicht ihrer Meinung entspricht, muss falsch sein, gar hinterhältig gelogen. Festes Weltbild? Aber hallo.

Journalisten haben der klassischen Nachrichtenwerttheorie folgend eine Gatekeeper Funktion, d.h. sie filtern Nachrichten nach bestimmten Faktoren. Über diese Kriterien lässt sich trefflich streiten, und die BILD Zeitung verfolgt da durchaus andere als die Süddeutsche, aber immerhin unterwerfen sich die Massenmedien weitestgehend dem demokratischen Prinzip des Pluralismus, welcher eben mehrere Meinungen zulässt und nicht bloß eine. Und sie ballern eben nicht gleich den ersten Schwachsinn raus, der ihnen in den Sinn kommt weil sich damit mächtig auf die Tränendrüse drücken lässt (ok, da muss ich die BILD dann doch rausnehmen, die war ein blödes Beispiel, die is einfach Dreck). Gezielte Propaganda, verharmlosend als Fake-News bezeichnet, ist nicht jedem gleich als solche erkennbar, und schwuppdiwupp surfen alle auf der Empörungswelle ein Stückchen mit, bis sich herausstellt: Ach nee, stimmte ja alles gar nicht. Aber da ist der Schaden schon angerichtet. Und einige nicht ganz so Scharfsinnige kommen nie auf den Trichter. Soll ja immer noch Leute geben (HC Strache), die Satireseiten (der Postillon) für bare Münze nehmen.

Der deliberative Wert der persönlichen Filterblase ist also eher zu vernachlässigen, aber die hochgradig emotionale Logik und Kurzzeitigkeit der Kommunikation hat womöglich Auswirkungen auf die Art und Weise wie außerhalb der sozialen Medien miteinander diskutiert wird. Und da scheint Hate Speech verdammt hip geworden zu sein.

Killer Elite

Da es so schön in monokausale und einfache Erklärmuster passt, wird die Ablehnung einer wie auch immer gearteten Elite zu einer verbindenden Komponente des Protests. Daraus wurden gleich zwei Thesen geschnitzt, die in ihrer Ambivalenz kaum zu überbieten sind.

Erstens: Der abgehängte Modernisierungsverlierer fällt dem Rechtspopulismus anheim, da die Globalisierung einfach so globalisiert ohne ihn zu fragen. Zweitens: Die abgehobene linksliberale Strömung unserer Gesellschaft ist selber Schuld an dem Katzenjammer, da sie die Sorgen dieser Abgehängten einfach nicht ernst nimmt.

Also zumindest die erste These kann man doch getrost in die Tonne kloppen. Wenn man sich anschaut wer Trump gewählt hat oder die AfD, muss leider feststellen, dass sich da nicht das Prekariat versammelt (höchstens das Geistige), sondern solide Mittelschicht, für die Armut nicht mehr ist als ein Begriff. Die wollen gegen das Establishment sein? Also bitte, mehr Establishment geht ja kaum, Amerika als Realsatire: Finanzminister = Goldman Sachs Manager, Millardäre im Kabinett, ein Immobilien-Tycoon und Steuervermeider als Präsident. Wenn die Wähler es jemandem gezeigt haben, dann höchstens sich selbst. Glückwunsch!

Es scheint zum menschlichen Reflex zu gehören, bei subjektiv wahrgenommener Unsicherheit und drohendem Kontrollverlust auf sämtliche Einsichten einen dicken Haufen zu setzen und die niemals verhallenden Rufe nach mehr Nationalstaat, Volk und Autorität zu reaktivieren. Komplexität reduzieren. Sündenböcke erschaffen bzw. sich welche von jenen präsentieren lassen, die von der gesellschaftlichen Entwicklung als die Wenigen profitieren. Wenn die Dagobert Ducks dieser Welt ihren Speicher füllen zu Ungunsten der malochenden Masse, werden sie den wachsenden Unmut dieses siffigen Mobs sicher nicht durch Zugeständnisse beschwichtigen, sondern ihr einen Prügelknaben vorsetzen, auf den dann munter gemeinsam eingedroschen werden kann. Die Flüchtlings-Pinata, ein Spaß für die ganze Familie.

Bei der zweiten These tu ich mich schon schwerer. Ich bin wirklich kurz davor, mir selbst Vorwürfe zu machen, in meiner linksliberalen Denke zu verharren und Leuten, die den neoliberalen wohlstandschauvinistischen Quatsch nachplappern, den gesunden Menschenverstand abzusprechen. Und ich kann auch total die Abneigung verstehen, wenn Menschen bei bestimmten Reizwörtern gleich ohne weitere Nachfrage als per se Rechts abgestempelt werden. Ausgrenzung und Ignoranz haben nämlich leider den destruktiven Effekt eines trotzigen Reaktanz-Verhaltens, das mit der Festigung der randständigen Position einhergeht samt Erschaffung einer eingebildeten Opferrolle, die dann auch durch und durch real werden kann wenn die Etablierten dieses Narrativ weiter fleißig füttern. Ich habe schonmal angedeutet, dass ich mir selbst ankreiden muss, nicht selten die argumentative Konfrontation zu meiden, weil ich keinen Bock drauf hab. Aber muss man einer ganzen gesellschaftlichen Teilschicht eine Schuld zuweisen, die durch vermeintliche Arroganz begründet ist? Am Ende des Tages bin immer noch ich als Individuum dafür verantwortlich, ob ich ein Kreuz hinter eine menschenverachtende faschistoide hetzerische Partei setze oder nicht. Allein ich bin dafür verantwortlich. Ich, meine Erziehung und mein freies Denken, welches mich dazu befähigt, Verantwortung zu übernehmen. Zivilisation und so, war da nicht was? Dieses Argument ist letztlich natürlich ziemlich universell einsetzbar. Haben wir den Trump Salat nun wegen Big Data, fragen alle? Ich würde dann sagen: Naja, wir haben ihn, weil so viele Hirnlose ihn gewählt haben, so einfach ist das.

Nur weil ich das politische System nicht zur Gänze durchblicke, rufe ich nach einem starken Führer, der mit harter Hand durchgreift und den Laden mal richtig aufräumt? Hm, Parallelen in unserer Geschichte sind da leider unverkennbar. Es geht noch weiter. Intellektuellenfeindlichkeit, dieser Tage auch ganz groß. Wie oft wird über dahergelaufene Wissenschaftler in ihren Elfenbeintürmen abgeschrotzt, die angeblich nichts von den Problemen des kleinen Mannes verstünden. Akademiker sind wieder grundsätzlich verpönt. Was wissen die schon?!

Apropos, bin ich dann eigentlich auch Elite? Ich hab ja nen akademischen Abschluss. Prekär leb ich trotzdem, schon immer irgendwie. Im Grunde bin ich sogar ein richtiger Verlierer, der so an der Grenze von Sozialamt und Nebenjob mäandert. Andersrum hab ich Freunde, die sind Schulabbrecher und verdienen ganz gut. Und auch die sind trotz allem mündige reflektierte Individuen. Wer isn jetz eigentlich diese Elite, die an die Wand gestellt gehört?

Survival of the loudest

Was als „postfaktisch“ durch die Medien geistert und als gegenwärtiges Erfolgskonzept politischer Vortänzer beschrieben wird, könnte man auch das Recht des Lautesten nennen. Frei nach dem Programm der PARTEI: Inhalte überwinden. Hauptsache, man reißt die Schnauze ganz weit auf und schon heißts: Endlich traut sich jemand, es auszusprechen. Und ich frag mich immer: Was denn eigentlich? Dass der Islam die Weltherrschaft anstrebt? Frauen gerne vaginal betastet werden wollen? Chemtrails Pickel verursachen?

Weils so absurd ist, muss es schon stimmen. Anstatt die Fehler im System zu suchen, wird das ganze System verdammt, als hätte es die zwei Weltkriege nie gegeben und 70 relativ friedliche Jahre danach. Das Parteiensystem ist träge, ohne Zweifel, und scheinbar auch nicht sonderlich adaptionsfähig. Aber aus Ablehnung vieler scheiß Entwicklungen etwas zu befeuern, was die größte Scheiße von allem ist, kann ja wohl nicht die Lösung sein. Daher sollte man sich auch nicht diesem Haufen Scheiße hinwenden und sie weniger stinken lassen, indem man ein bisschen Parfüm drauf sprüht, sondern die Scheiße ein für alle mal wegräumen.

Aber genug der Scheiße-Analogien, auch wenn große Scheiße als Fazit durchaus herhalten würde.

Obwohl, einmal Scheiße hab ich noch: Bevor der Mensch nicht bis zum Hals in der Scheiße steckt, ändert sich nix. Das eignet sich gut als Schlusssatz, da ich nach wie vor zum zerreißen gespannt bin, aus welchen Gründen wir uns zuerst die Köpfe einschlagen werden: Klimafolgen oder Faschoregime. Insgeheim hoffe ich ja, die Flut holt mich.

Haten is erlaubt, gibt ja jetz die AfD.

Heute schon Kommentare im Internet gelesen? Wo es auch nur ansatzweise um Politik geht? Verliert man gleich die Beherrschung, ne? Jeder hat ne einfache Lösung parat. Und nen Schuldigen, der an die Wand gestellt gehört. Zum Schluss dann noch drauf hinweisen, dass man AfD wählt, weil die endlich mal aufräumen in der Politik. Protest! Macht mir einerseits Hoffnung, dass das Protestpotential großer Teil des Erfolgs und vergänglich ist, sobald auch sie scheitern oder im System angekommen sind (oder die Macht ergriffen haben). Dass es jedoch keine wirkliche Alternative schafft, Erfolg zu haben, ganz ohne faschistoiden Nonsense und mittelalterliche Ideen, betrübt mich.

Man, und wie die AfD gepriesen wird… als frischer Wind in der Parteienlandschaft. Gegen die Etablierten! Wo genau liegt der Unterschied zur CSU? Alte Männer mit alten Ideen, und ein paar karrieregeile Flitzpiepen. Das ist nicht neu, das ist stinkkonservativ, realitätsverweigernd und rückwärtsgewandt.

Der einzige Unterschied, den ich erkenne, ist die Verschiebung des Sagbaren. Haten ist plötzlich salonfähig. Rassistische Kackscheiße von sich zu geben, ist plötzlich politischer Widerstand. Hatten wir das nicht schonmal? Wenn man sich die Zusammensetzung der AfD ansieht, mit all den zusammengekehrten Resten vom rechten Rand, die eine neue Heimat gefunden haben, verwirrten Seelen, die glauben, in die Vergangenheit zurückkehren zu können und ein paar bankrotten Jungspunden, die mal einen auf dicke Hose machen wollen (hier ist der Unterschied zu den anderen Parteien wahrscheinlich am kleinsten), dann sollte man eigentlich erkennen, dass die „Alternative“ grau, trist und ängstlich ist.

Die Tatsache, dass jetzt auch die allerletzten Kellerkinder ans Tageslicht kommen und laut rumkrakelen, lässt uns zumindest erkennen, wie der bisher politisch apathische Rest im Inneren tickt. Ich bin versucht zu sagen: Wär der Nichtwähler lieber Nichtwähler geblieben. Aber immerhin wissen wir jetzt, welche Denke in der Mitte unserer Bevölkerung vorherrscht. Und jetz dürfen sie es endlich auch mal verbalisieren, und zwar ohne Hemmungen, denn es gibt ja das Internet als Instrument dafür. Anstandsregeln sozialer Interaktion sind außer Kraft gesetzt. Aber hey, so bekommen wir endlich mit, wie weit unsere gesellschaftspolitische Aufklärung tatsächlich fortgeschritten ist. Nicht besonders weit, würd ich sagen.

Ich will aber hier nicht den Eindruck vermitteln, dass die Schuld nur bei den einfach gestrickten Otto-Normal-Hinz-und-Kunzes aus Bauernhausen liegt und den Rattenfängern, die ihnen aus der schwarzen Seele sprechen. Natürlich hat die Politik Schuld. Nicht nur die deutsche, sondern die globale, die nach ihrem Paradigma der (leider nicht so freien und unabhängig funktionierenden) Marktwirtschaft so so viele Menschen abhängen ließ. Jaja, man kanns nicht mehr hören, aber es is eben so, und zudem der Hauptgrund für die ganze Scheiße: Die Arm-Reich-Schere klafft auseinander, die Mittelschicht rutscht ab, jeder kämpft um ein kleines Stück vom Kuchen, während die Reichen gar nicht wissen, wohin mit der Kohle, Hauptsache irgendwo, wo man nicht dran kommt.

Ich dachte ja mit Veröffentlichung der Panama Papers: Jetzt isses endlich soweit. Wir alle kriegen es auf dem Silbertablett serviert, wie abartig korrupt unser ganzes System ist. Selbst der letzte muss es nun kapieren. Jetzt muss was unternommen werden! Wie naiv von mir. Stattdessen erhöht Herr Schäuble das Kindergeld um 2 Euro. Das ändert alles.

Und die Diskussionen auf lokaler Ebene drehen sich wieder nur um den eigenen Vorgarten. Die schwarzen Drogendealer ausm Görli gehören „ausgemerzt“, die „linken Terroristen“ von der Rigaer Straße „ausgerottet“. Die kriegerische Sprache ist zurück, einfache Lösungen werden bevorzugt. Viele wünschen sich einen starken Führer mit eiserner Hand, der für Ordnung sorgt. Na wunderbar. Demokratie is halt scheiße, weil so viele Menschen anderer Ansicht sind, aber doch nur die eigene zählt. Denn schließlich könnte ja auch mein eigenes Auto irgendwann brennen, oder ein Flüchtlingsheim in meiner Nachbarschaft errichtet werden. Nee, lass ma! Die eigene Komfortzone, da darf bitte keiner dran rütteln. Und wenn doch: Volksverräter, Deutschlandhasser, Terrorist, Gutmensch!

Die Widersprüche gehen durch jeden einzelnen, aber reflektieren tun es eben nur die wenigsten. Finanzindustrie bluten lassen! Aber meinen Pensionsfonds, der auf faulen Immobilienkrediten basiert, nicht anfassen! Widerstand leisten! Aber wenn ich mit meinem Auto stecken bleibe wegen so ner blöden Demo schon wieder… in den Kerker werfen, dieses aufsässige Lumpenpack! Wat, der Ribéry verdient 12 Millionen im Jahr? Da kauf ich mir doch glatt ne Karte fürn Hunni, um den im Stadion mal live zu sehen. Naja, das führt zu weit, aber ihr wisst, was ich meine.

Nochmal zurück zur Sprache. Hört doch endlich auf, jeden Satz relativierend anzufangen mit „Ich bin ja nicht rechts, aber…“ oder „Ich hab ja nichts gegen Ausländer, aber…“, denn spätestens wenn der Satz so anfängt, endet er im genauen Gegenteil. Wenn jetzt eh alles gesagt werden darf und es auch noch parteipolitisch Gehör findet, dann haut es doch einfach raus. Sonst endet das so glaubwürdig wie hier: “Rudi M. nennt Türken „dreckige Kanaken-Wixxer, die in ihr Eselficker-Land zurückgehen“ müssten. Das solle aber „nicht heißen, dass ich rechts bin“.” Absolut nicht Rudi, du bist einfach nur ein mieses Arschloch mit einem Spatzenhirn, wobei ich den Spatz hier in Schutz nehmen muss, denn sowas würde der nicht von sich geben.

Ich bekomm solche Aussagen in abgeschwächtem Maße auch in meinem entfernten Umfeld mit, wenn ich mal meine Gutmenschen-Filterblase verlasse. Dabei versuche ich, die Hintergründe der Person zu berücksichtigen, und es gibt genug Gründe, die ich nachvollziehen kann, die diese Person zu dieser Denke bewegen. Und letztlich komme ich immer zu dem Schluss, dass es die Sorge um den eigenen Wohlstand ist, die einen umtreibt. Und da man sich immer im nahen Umfeld umschaut, wer wieviel hat, hagelt es eben keine verbale Prügel auf die Superreichen, von denen man selten einen kennt, sondern auf die, denen es noch dreckiger geht. Man kann nicht akzeptieren, dass sie einen ähnlichen Lebensstandard haben sollen, wobei man selber doch so hart dafür arbeiten musste.

Wie gesagt, ich kann das verstehen, aber leider habe ich die Erfahrung gemacht, dass man mit Argumenten oft sehr wenig erreichen kann, sein Gegenüber eine differenziertere Sichtweise annehmen zu lassen. Vielleicht tut man es ja doch, aber es ist eben nicht sofort erkennbar und es verlangt einem soviel emotionalen und empathischen Aufwand ab. Den bin ich oftmals gar nicht erst bereit zu investieren, muss ich zugeben. Ich flüchte mich in mein möchtegern-intellektuelles Gedankenparadies und denk mir: Bei dir is der Zug doch eh schon abgefahren. My bad!

Argumente sind gegen Emotionen aber eben oft auch machtlos. Warum stimmen sonst Orte im Vereinigten Königreich für den Brexit, obwohl sie größtenteils durch EU-Subventionen am Leben gehalten werden? „Make America – äh Great Britain – great again!“ Und schon wieder in der Vergangenheit geschwelgt.

Wenn die Wahl wirklich nur darin besteht, die unverbesserlichen Hater entweder abfällig und besserwisserisch durch die Blume (oder in your face) zu beleidigen oder gefühlt gegen eine Wand anzureden, wofür soll ich mich entscheiden? Tief im Inneren weiß ich, dass letzteres wünschenswerter wäre, aber es ist so anstrengend und ich will mich nicht in eine Position begeben, in der ich letztlich als naiver links-alternativer Junge hingestellt und belächelt werde. Ist es schlimm, wenn ich mir denke: Du engstirniger verbohrter Kleinbürger raffst es nicht, und du willst es einfach nicht raffen!? Ich halte mich auch komplett aus Online Diskussionen raus, weil ich realistisch genug bin zu wissen, dass es nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist und die Mühe nicht wert. Die nächsten 5 nehmen sowieso keinen Bezug drauf, sondern brüllen irgendwas dämliches in den Äther.

Das hat wenig mit Political Correctness zu tun. Mit Political Correctness habe nämlich auch ich ein Problem, denn sie fungiert wie ein Schalldämpfer, oder ein Vorhang, der verbirgt, was viele Leute eigentlich sagen, wenn sie sagen was sie sagen. Nun wird der Begriff an sich ja auch schon längst von unseren rechts-nationalen Alphatierchen gedisst. Diese verwechseln Political Correctness allerdings mit Regeln des Anstands. Der Damm ist gebrochen, unterirdischste Kommentare werden losgetreten und verstärken sich in entsprechenden filterbubbles selbst, bis alle es glauben. Das ist nicht mehr nur nicht PC, sondern total zurückgeblieben und verachtenswert.

Kaum zu glauben, dass ich vor Jahren mal politische Online Kommunikation und Faktoren, die solche Diskurse wahrscheinlicher gelingen lassen, wissenschaftlich untersucht habe. Vergeudete Lebensmüh? Kommt mir grad so vor.

Jetzt wo wir dank Online Kommentarfunktion wissen, wie die Gruppe, die lange Zeit geschwiegen hat, tickt, können wir bitte zurückkehren zu Katzenvideos und Fail-Compilations?

Die Besserwisser (Achtung: langweiliger als die Überschrift vermuten lässt!)

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Und hier bestätigt sich mal wieder meine Theorie, dass AfD-Sympathisanten überdurchschittlich viel kommentieren müssen. Selbst in den unpopulärsten Gefilden jenseits jeglicher Relevanz in Sachen Meinungsbildung, nämlich dort, wo sich mein Artikel finden lässt, verspüren die Unermüdlichen der Nights Watch des nationalistischen Biermeiertums den zwanghaften Drang, ihr in der Wahlkabine getätigtes Kreuzchen zu rechtfertigen. Is doch ok. Von mir aus. Der Tellerrand ist halt groß, mein Gott.