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Extremist ist, wer extrem ist?!

Der Blog sollte eigentlich witzig sein. Hab ich ne Zeit lang geschafft und es wird sicher auch mal wieder was zu lachen geben, aber momentan ist mir irgendwie nich so lustich trallala zumute. Mir stößt da was auf in letzter Zeit.

Als Antwort auf den Einheitsbericht der Bundesregierung, der wachsenden Rechtsextremismus im Osten als Gefahr darstellt, fällt den politischen Vorturnern erstmal nix besseres ein, über einseitige Thematisierung und Ostbashing zu jammern. Wie kann man sich als Opfer einseitiger Berichterstattung hinstellen, wo einem das Problem doch quasi ins Gesicht springt? Kein „ostdeutsches Problem“? Mag ja sein, dass auf Grund der dünnbesiedelten Landstriche die Quote rechter Gewalttaten vergleichsweise hoch ist im Gegensatz zum bevölkerungsreicheren Westen. Machts das besser? Ja wohl kaum. Im Gegenteil. Dass sich in der Walachei soviel Gesocks tummelt obwohl es kaum Fremde dort gibt, machts doch eher schlimmer. Solange das nicht eindeutig angesprochen und kritisiert wird, findet auch keine wirkliche Aufarbeitung und vernünftige Ursachenbekämpfung statt.

Ständig wird relativiert, das nervt so dermaßen. Als hätte es nie den NSU gegeben. Aber ist doch nicht alles schlecht hier, sagen die, die gerne die Augen verschließen würden. Nein, nicht alles, aber die schiere Menge rassistischer Asozialer schon. Kann man ruhig mal konstatieren. Gibt auch viele Seen in Brandenburg. Und viel Wald in Sachsen. Und eben viele Nazis. Die gerne mal was anzünden oder zuschlagen. Punkt.

Und hat Herr de Maiziére nicht auch was von linker Gewalt gefaselt, um völlig unnötig vom eigentlichen Problem abzulenken? Das wird ja ganz gerne mal gemacht. Noch eine Strategie der Relativierung. Und obendrauf, zur weiteren Relativierung der Relativierung, der Hinweis, linksextremistische Taten nicht zu verharmlosen. Was bitte? Das brennende Polizeiauto soll so schlimm sein wie das brennende Flüchtlingsheim? Sachbeschädigung gleich versuchter Mord? Ein vermummter schwarzer Block, der gegen das System anschreit, gleich ein hasserfüllter Mob, der ankommenden Geflüchteten Hasstiraden ins Gesicht brüllt? Fliegende Pflastersteine gegen gepanzerte Polizisten gleich Eindreschen auf Wehrlose anderer Hautfarbe?

Warum diese geschmacklosen Vergleiche? Sie sind ein Plädoyer für Verharmlosung! Ich bin tatsächlich Pro Verharmlosung linksextremistischer Gewalt. Würde ich es nicht tun, würde ich rechtsextremistische Gewalt verharmlosen.

Jaja, is klar. Nein, ich bin kein Polizistenhasser und ich raffe auch nicht, warum diese herhalten müssen als Feindbild von Autonomen und Krawallmachern. Ich bin nicht so der ACAB Typ, einfache Lösungen und Generalisierungen sind mir nämlich zuwider. Ehrlich gesagt hab ich mich noch nie im Leben geprügelt, ich verabscheue das.

Den Extremismus Begriff auf beide Seiten gleichermaßen anzuwenden, ist jedoch mindestens irreführend. Zumdindest sollte man sich mal die Skala ansehen, dessen äußerste Pole eben jene „Extreme“ bilden. Muss ich wirklich ans Ende der Skala wandern, um antidemokratische Einstellungen und Verhaltensweisen zu finden? Hört man sich an, was manch eine(r) sagt, aus Parteien der vermeintlichen „Mitte“ oder der salonfähig gewordenen Rotzbrühe von AfD, dann stellt man recht schnell fest: Nein! Nicht umsonst weist die Bundeszentrale für politische Bildung darauf hin: „Dass die Mitte, die als Gegenpol zu „extremus“ als nah, harmlos, gut oder respektiert verstanden wird, kann bezweifelt werden, wenn man sich erinnert, dass aus der Mitte der deutschen Gesellschaft heraus seinerzeit der Faschismus groß geworden ist.“

Üble Erkenntnis, oder? Donald Trump ist ein Faschist unserer Zeit, doch scheinbar findet sich die Hälfte der US-Amerikaner von ihm angezogen, obwohl man niederträchtiger kaum sein kann. Orban und Ungarn, die Rechtskonservativen in Polen, Erdogan und seine untertänige Türkei, lupenreiner Zar ..äh.. Demokrat Putin … is euch auch schon schlecht? Alle mit absoluter Mehrheit wohlgemerkt. Da rücken ganze Nationen mit einem riesen Satz nach rechts, und wir machen gleich mit, weils so schön ist. Da soll mir nochmal einer ernsthaft mit Linksextremismus kommen.

Politikwissenschaftler Klaus Schroeder, dessen Lehrbetrieb ich als Student selbst beiwohnen durfte, findet, dass linke Gewalt gesellschaftlich verklärt wird. Futter für alle „Ich bin ja nicht rechts, aber…“ Dummschwätzer. Er führt Statistiken an, dass die Zahl der Körperverletzungen auf beiden Seiten, rechts wie links, ähnlich hoch sei, was gleichsam den Mythos, linksextremistische Gewalt richte sich vornehmlich gegen Sachen, entkräften soll.

Zahlen alleine reichen mir aber nicht, um linke Gewalt du dämonisieren. Das Grundproblem liegt doch auf einer anderen Ebene, einer ethischen, einer der Werte und Menschlichkeit. Ich muss doch Stellung beziehen und sagen können, dass mir Rechtsextremismus, ungeachtet aller Zahlen, schlicht und ergreifend mehr Angst macht als jener von links. Die ganze Gesellschaft sollte ihn fürchten. Wenn auf Krawall gebürstete Linksautonome Scheiben von Luxusshops und Banken einwerfen, ist das zwar ziemlich panne, aber ich kann darin immer noch mehr Gesellschaftskritik erkennen als bei jenen, die „Wir sind das Volk“ johlen. Die haben zwar nix materielles kaputt gemacht, aber die sozialen Schäden sind viel verheerender. Unser ethisches Grundgefüge is völlig im Arsch. Ich brauch gar kein brennendes Flüchtlingsheim, um das zu erkennen.

Schaut man sich einmal die Definitionskriterien „politisch motivierter Kriminalität“ (PMK) beider Seiten genauer an, dann erkenne ich auch hier einen Maßstab, der in seinen destruktiven Auswirkungen auf das gesellschaftliche Miteinander unterschiedliche Qualität besitzt. In PMK-rechts werden Menschen eingeordnet, die rassistische, nationalistische und sozialdarwinistische Einstellungen an den Tag legen. PMK von links liegt vor, wenn sich die Täter irgendwie einer „linken Orientierung“ zuordnen lassen. Seriously? Ich find das ehrlich gesagt ganz schön dünn und hier wird mit zweierlei Maß gemessen. Nehmen wir doch die erste Definition nochmal her und rekapitulieren, was für Aussagen tagtäglich in unserer neuen Shootingstar Partei AfD so kursieren. Da brauch doch nur wer die Fresse aufmachen und der Grundstein für rechte Gewalt ist gelegt. Unsere besorgten Bürger sollten UNS Angst machen. Hier werden fleißig weiter die Samen gestreut, die Hass befördern und Menschenverachtung legitimieren. Dagegen macht mir der stumpfsinnige Otto, der die Sparkasse an der Ecke demoliert, wirklich keine Angst.

Ja, ich polemisiere, und mit wissenschaftlicher Auseinandersetzung hat das auch nicht viel zu tun. Ist mir klar, es geht mir auch mehr um eine gesellschaftliche Zustandsbeschreibung, die die Anwendung des „Extremismus“ Begriffs den tatsächlichen Gegebenheiten anpassen sollte. Wenn die Mitte schon rechts ist, wo befindet man sich dann als Linker?