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Author Archives: ebielectric

Die Besserwisser (Achtung: langweiliger als die Überschrift vermuten lässt!)

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Und hier bestätigt sich mal wieder meine Theorie, dass AfD-Sympathisanten überdurchschittlich viel kommentieren müssen. Selbst in den unpopulärsten Gefilden jenseits jeglicher Relevanz in Sachen Meinungsbildung, nämlich dort, wo sich mein Artikel finden lässt, verspüren die Unermüdlichen der Nights Watch des nationalistischen Biermeiertums den zwanghaften Drang, ihr in der Wahlkabine getätigtes Kreuzchen zu rechtfertigen. Is doch ok. Von mir aus. Der Tellerrand ist halt groß, mein Gott.

Aha. Soso. Mmh ja!

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Also ich weiß ja nicht, wie es anderen Leuten da geht, aber ich finde die Leserkommentare bei Onlineartikeln oft aufschlussreicher als die Artikel selber. Das Resultat ist zwar meistens das gleiche, und zwar, dass ich irgendwann innerlich zu aufgewühlt bin, um weiter zu lesen. Aber schon auch spannend, wie die Leute so ticken. Zumindest hat jedeR zweite KommentatorIn die Weltformel entdeckt. Alles total einfach eigentlich.

Tut Ihr Euch das auch an? Dann will ich von euch (3-6) Lesern und Leserinnen wissen:

Wenn ich wen vergessen hab, dürft ihr natürlich in den unmoderierten Kommentaren ergänzen und haten, wie sich das gehört.

Ein Reisebericht

Ich dachte ja mal, ich würde eine anständige Reisereportage schreiben, die ich dann irgendwo im Netz unterkriege. Meine Mühen derenthalb waren überschaubar und so droht diese Reportage über eine Reise jenseits der ausgetretenen Pfade in Myanmar auf meiner Festplatte zu verschimmeln. Wär schade. Also:


 

 

Mühsam ernährt sich der Abenteuerlustige

Wer in Myanmar außerhalb der touristischen Hot-Spots reisen will, braucht Spontaneität, gutes Sitzfleisch und am besten viel Zeit. Als Belohnung winkt ein authentischer Einblick in das alltägliche Leben der Burmesen und ehrlich gemeinte Freundlichkeit.

„Relax and enjoy the wonderful journey!“ lullt die Stimme vom Band mich und meine Begleitung ein, kurz nachdem sich der Bus in Bewegung gesetzt hat. Lässt man die grundsätzlich übertrieben kalt eingestellten Klimaanlagen sowie die Vorführung popkultureller Irrwege im Bordfernsehen außer Acht, so ist die 10-stündige Fahrt von der ehemaligen Hauptstadt Rangun zur Tempelstadt Bagan, für viele Highlight und Mittelpunkt ihrer Reise, durchaus komfortabel. Nicht „wundervoll“ wie versprochen, aber mit europäischen Standards allemal vergleichbar.

Zwischen den Hauptattraktionen des Landes, Rangun im Süden und Inle Lake sowie Bagan in der Mitte des Landes, verkehren private Reisebusunternehmen mit einem modernen Fuhrpark. Der 2010 eröffnete Expressway zwischen Rangun und Mandalay sorgt zudem dafür, dass im Gegensatz zu den meisten anderen Verkehrsmitteln relativ zuverlässige Zeitpläne eingehalten werden können.

Besuchermagnet Bagan: Die alte Königsstadt umfasst über 2000 Tempel und Pagoden

Besuchermagnet Bagan: Die alte Königsstadt umfasst über 2000 Tempel und Pagoden

Geldautomaten und E-Bikes

Steigende Besucherzahlen haben in diesen touristisch reizvollen Gegenden eine rasante Entwicklung in Gang gesetzt. Vor zwei Jahren gab es in dem Land so gut wie keine Geldautomaten. Dementsprechend rieten Reiseführer, sämtliches Bargeld in US-Dollar einzuführen und vor Ort zu tauschen. Ein weiteres Problem war jedoch, dass der Kurs offizieller Wechselstuben nur ein lächerlicher Bruchteil dessen war, was man auf dem Schwarzmarkt erhielt. Heute sind in Rangun an den touristischen Durchlaufstellen wie der Schwedagon Pagode oder dem Bogyoke Markt Zellen mit der Aufschrift „ATM“ aufgestellt und der Wechselkurs in den vielen Wechselstuben scheint relativ stabil zu sein. Die Preise für Unterkünfte sind unterdessen unverhältnismäßig stark angestiegen, Angaben nicht aktueller Travelguides können höchstens zur groben Orientierung dienen. Und in Bagan prägen seit kurzer Zeit E-Bikes das Bild, mit deren Hilfe die Besucher und Besucherinnen das riesige Gelände erkunden können.

All diese Entwicklungsprozesse machen das Reisen für die Besucher leichter und scheinen unvermeidbare Folgen einer schleichenden Öffnung des Landes zu sein. Für diejenigen, die sich durch einen Besuch Myanmars erhoffen, dem eigenen Entdeckergeist eine Spielwiese zu bieten, bedeuten solche Annehmlichkeiten jedoch gleichzeitig eine gewisse Entindividualisierung ihres exotisch geglaubten Reiseziels. Reisen wird zur Schablone. Man folgt den bereits niedergetrampelten Pfaden, wo man sich doch erhofft hatte, jenseits des südostasiatischen Massentourismus á la Laos, Vietnam, Kambodscha und dem benachbarten Thailand eine Oase der Authentizität und Ursprünglichkeit aufzuspüren.

Hier ist immer am meisten los: Freie Internetzone an der Schwedagon.

Hier ist immer am meisten los: Freie Internetzone an der Schwedagon.

Natürlich ist die Gleichsetzung mit dem Nachbarn im Osten, zu denen jährlich massenhaft Europäer und Europäerinnen mit zweifelhaften Absichten reisen, zu diesem Zeitpunkt nicht zulässig. Hoffentlich bleibt das auch so. Die gute Nachricht für alle, in denen eine ordentliche Portion Explorer steckt: Myanmar bietet nach wie vor ausreichend Möglichkeiten für abenteuerlustige „Treshaw-Tourists“. So nennt So So, unser Tourguide in Mandalay, jene Abenteuerlustige, die sich mit ihrem Rucksack bepackt ins Getümmel schmeißen, die einheimische Kultur aufsaugen und sich von ihrer Neugier auf Land und Leute treiben lassen. Treshaws sind nichts anderes als Fahrräder mit Beifahrersitz und stehen in diesem Zusammenhang für die bewusste Entscheidung, das klimatisierte Taxi, welches einen von A nach B bringt, einzutauschen gegen die unbequemere aber authentische Variante der Fortbewegung, in der man auch mal Staub fressen muss und Zeit keine allzu große Rolle spielen sollte. An dieser Stelle sei auch angemerkt, dass „Lonely Planet Touristen“ für So So eine ganz eigene Gruppe von Reisenden darstellen. Eine Gruppe, die sich seiner Ansicht nach sklavisch an ihr Buch hält und sich infolgedessen oftmals der Realität verweigert und spontanen Auseinandersetzungen systematisch aus dem Weg geht.

Jenseits der Ameisenstraße

Diesen Gedanken folgend war Ziel unserer Reise, sich von Mandalay aus über Land in den Norden Myanmars hochzuarbeiten, um von dort aus auf dem Wasserweg wieder den Rückweg anzutreten. Soweit der Plan. Um es vorweg zu nehmen: Nichts hat so geklappt wie geplant. Änderungen der Route oder im Zeitplan waren an der Tagesordnung, weil die Infrastruktur ihren Namen nicht wirklich verdient. Bahn fahren hat dort relativ wenig mit einer Fahrt von, sagen wir, Köln nach Dortmund gemein, egal ob Regionalbahn oder ICE. Ein Fahrplan existiert zwar, ist allerdings mehr als grobe Orientierung zu verstehen.

Auf Verspätungen eingestellt: Wartende am Bahnhof Mandalay

Auf Verspätungen eingestellt: Wartende am Bahnhof Mandalay

So fuhr der anvisierte Zug in Richtung Myitkyina mal eben mit drei Stunden Verspätung ab, und aus den angekündigten 22 Stunden Fahrt wurden letztlich 27 Stunden, bei denen man hätte seekrank werden müssen, wenn es sich an Stelle der etwas mitgenommenen Schienen (die noch aus der britischen Kolonialzeit stammen) um ein Gewässer mit heftigem Wellengang gehandelt hätte. Dass man festen Boden unter den wackelnden Waggons hat, daran wird man jedoch regelmäßig erinnert. Sobald der Zug seine Durchschnittsgeschwindigkeit (gefühlt Schritttempo) überschreitet, werden die Passagiere wie in einer Achterbahn aus ihren Sitzen geschleudert. Die Kinder nehmen es mit Freude hin, und auch die Erwachsenen mischen ihren angestrengten Blicken ein wenig kindische Begeisterung bei.

Aussicht genießen statt quengeln: Kinder haben ihren Spaß

Aussicht genießen statt quengeln: Kinder haben ihren Spaß

Relativ schnell wird klar, warum eins der beliebtesten Gepäckstücke der Reisenden faltbare Matten sind. Da die Sitze trotz Upper Class-Aufschlag bepolsterten Pritschen ähneln, sucht sich ein Teil der Passagiere für die Nacht eine Nische am Boden, um ein wenig Schlaf zu finden. Angesichts der Zigarettenasche (geraucht werden darf überall) und den sich sammelnden Essensresten ist solch ein Utensil durchaus lohnenswert, aber für einen Europäer von 190cm Größe wie mich ist das ganze Unterfangen ohnehin ziemlich aussichtslos. Viele Burmesen sind es scheinbar gewohnt, es sich auf kleinem Raum bequem zu machen. Anerkennend höre ich das kontinuierliche Schnarchen des Kollegen hinter mir, der sich durch nichts und niemanden aus der Ruhe bringen lässt. Schließlich kommt ja noch hinzu, dass im Minutentakt Verkäufer mit allerhand unidentifizierbarer Waren und Verkäuferinnen mit frisch zubereitetem Essen durch die Waggons schlendern und ihre Produkte lauthals bewerben. An jeder Station werden Speisen und Getränke durchs Fenster gereicht im Austausch gegen ein paar Kyat. Auch wir greifen regelmäßig zu, probieren allerhand frisch Zubereitetes. Meistens Reis in sämtlichen Ausprägungen: im Bambusröhrchen, schlicht oder aromatisiert, mit diversen Fleischcurrys oder haufenweise Gemüse. Für ein Gericht wird nie mehr als ein Dollar fällig und man bekommt es gleich an den Platz gebracht. Ein bisschen ungewollten Erste-Klasse-Flair hat das Ganze also doch.

Jeder Halt offenbart lokale Köstlichkeiten

Jeder Halt offenbart lokale Köstlichkeiten

Pläne sind dazu da, um verworfen zu werden

Die vorbeiziehende Szenerie ist spektakulär. Dschungel wechselt sich mit bewirtschaftetem Hochplateau ab. Reis, Getreide, Sonnenblumen, Vieh, und zwischendurch kleine Ortschaften, in denen fast immer eine Tempelanlage mit vergoldeter Pagode das Bild dominiert. Als am Folgetag draußen vor dem Fenster dann aber erneut die Sonne der Dunkelheit weicht und damit ein weiterer Tag der wertvollen Urlaubszeit im Sitzen verstreicht, wird der Geduldsfaden langsam aber sicher immer dünner. Der pünktlichkeitsvernarrte Europäer mit einer zwangsweise durch Komfort geprägten Sozialisation wird auf eine harte Probe gestellt, während der Zug weiterhin viel zu langsam aber dafür heftig durch die Prärie juckelt, deren Schönheit nun nicht mal mehr bestaunt werden kann. Wie lang war nochmal der Flug von Berlin nach Bangkok? 12 Stunden? Absurd. Aber schließlich finden alle Reisen irgendwann ihr Ende, und zwei im Boardrestaurant gestürzte Bier später erreichen wir Myitkyina. Endstation.

Nie wieder mit diesem Zug, denke ich in diesem Augenblick. Von jetzt an wird alles entspannter. Mit dem Boot auf dem Ayeyarwady hinunter treiben und die Seele baumeln lassen. Zeit spielt von nun an keine Rolle mehr. Denken wir.

Am nächsten Morgen stehen wir pünktlich am Hafen bzw. einer Schotterpiste, die ins Wasser führt wo bereits das Boot liegt. Fünf entgeisterte Burmesen schauen uns fragend an. „We would like to get on the boat to Sinbo“, sage ich, als ob das nicht eigentlich ersichtlich sein sollte. Pause. „No foreigners allowed“, so die Antwort. Zuerst denken wir, wir seien am falschen Steg oder ein anderes Boot fährt zu einer anderen Zeit. Zurück in der Stadt erfahren wir jedoch, dass die Regierung vor kurzem die Bootsstrecke zwischen Myitkyna und Katar für Touristen gesperrt hat. Warum, wollen wir wissen. Die offizielle Erklärung ist, dass es zu gefährlich sei, wenn der Fluss so wenig Wasser trage. Innerhalb der Lokalbevölkerung ist man sich allerdings recht sicher, dass derlei Maßnahmen die Isolation der Minderheitengruppen in der Peripherie vorantreiben sollen.

27 Stunden Zugfahrt später: Endlich angekommen im hohen Norden.

27 Stunden Zugfahrt später: Endlich angekommen im hohen Norden.

Politik rückt ins Blickfeld

Generell sind wir erstaunt, wie offen die Missstände im Land angeprangert werden. Berücksichtigt man die Tatsache, dass Regierungskritiker nach wie vor verfolgt werden und nicht selten verschwinden, verwundert die offen ausgesprochene Anklage an die Militärführung. Wie so oft, wenn der Alltag genug Aufgaben bereithält, um sich noch um Politik zu kümmern, hat bei vielen Bewohnern nach Jahren der Repression ein Zustand zynischer Resignation eingesetzt. „Politics is bullshit! They have always fooled us and they still think we are foolish“, teilt uns ein Bewohner beim gemeinsamen Abendessen mit. Dennoch ist er wie viele seiner Freunde nach mehrjährigem Auslandsaufenthalt freiwillig nach Myitkyina zurückgekehrt, um sich für die Menschen dort einzusetzen.

Myitkyina ist die Hauptstadt des Kachin Staats im Norden des Landes an der Grenze zu China im Nordosten und Indien im Westen. Die Wurzeln der Kachin liegen in der Mongolei und im Gegensatz zum Rest des Landes ist die Mehrheit christlichen Glaubens. Burmesen bzw. die Gruppe der Bamar bilden zwar die größte Volksgruppe in Myanmar, jedoch gibt es noch eine Menge andere ethnische Gruppierungen wie Shan, Mon, Chin, Rohingya, Karen oder eben Kachin. Die mit harter Hand führende Regierung ist dafür bekannt, mit ihren Minderheiten nicht gerade zimperlich umzugehen. Das zeigt aktuell beispielsweise die Flüchtlingsproblematik der Rohingya-Muslime im Westen des Landes, denen Staatsbürgerschaft und zivile Rechte verweigert werden. Infolge ihres illegalen Status sehen sich viele Rohingya gezwungen, sich die „Hilfe“ von Schlepperbanden zu erkaufen, was nicht selten tragisch ausgeht. Für uns persönlich bedeutet diese restriktive Politik erstmal nur, dass die Bootstour zu diesem Zeitpunkt ausfallen muss. Die einzige Möglichkeit, die Stadt zu verlassen: Der Zug!

Kein Transportmittel wird ausgelassen

Obwohl der Zug diesmal pünktlich abfährt, haben wir am Ende wieder zwei Stunden Verspätung. Anstelle einer durchgesessenen Pritsche haben wir diesmal unseren eigenen Sitz. Zugegebenermaßen haben wir uns beim Anblick der Holzklasse, die aus allen Nähten platzt, und im Gedenken an die harte Hinfahrt erneut in der Upper Class einquartiert. Familien prägen größtenteils das Bild. Plötzlich stehen zwei Kinder, vermutlich Bruder und Schwester, neben unseren Sitzen und halten uns Limonade und Kekse hin. Dankend nehmen wir die Geschenke an, die mit dem Lächeln der Familie und des halben Zugabteils garniert werden. Wir sind gerührt und fühlen uns ein wenig schlecht, dass wir nichts im Gepäck haben, um diese Geste zu erwidern.

Wir steigen in Naba aus, was ungefähr auf halbem Weg zurück in Richtung Mandalay liegt, mit dem Ziel, wenigstens das letzte Wegstück mit dem Boot zurücklegen zu können. Um nach Katar, wo das Boot ablegt, zu gelangen, müssen wir aber zuerst auf einen Pick-Up Truck springen, der Naba mit der Stadt am Fluss verbindet. Auf einer Holzpritsche zwischen vollbepackten Burmesinnen sitzend geht es mit dem motorisierten Dreirad für eine Stunde über Stock und Stein. Abwechselnd stoße ich mir den Kopf oben am Gestänge an, was ab und an Gekicher auslöst, und kriege den Staub überholender Fahrzeuge in Augen und Lunge, was wiederum bei den anderen ebenfalls keine Begeisterungsstürme auslöst. Das Panorama entschädigt für alle Unannehmlichkeiten und sowieso kommt uns nach einer erneuten langen Zugreise ein bisschen Action nur recht. Wir fahren los, als die Sonne gerade mit dem Dschungel am Horizont verschmilzt und erreichen Katar im Dunkeln.

Verkehrssicherheit wird hier noch nicht so groß geschrieben

Verkehrssicherheit wird hier noch nicht so groß geschrieben

Das Boot legt um 5 Uhr morgens noch vor Sonnenaufgang ab. Schnell wird uns klar, dass auch dieser Teil der Reise nicht die erhoffte Erholung bringen wird. Übermüdet warten wir darauf, dass die Sonne uns mit der Umgebung vertraut macht, während das Boot im Zickzack den Fluss hinunter schippert und sich dabei stetig mit Leuten sowie deren Mitbringsel füllt. Möbel werden ebenso auf das Dach verladen wie säckeweise Nahrungsmittel und ein Motorroller. Offensichtlich fungiert der Kutter als unverzichtbares Transportmittel der dort Ansässigen. Währenddessen versuchen wir, der Fahrt einen Anstrich von Urlaub zu verpassen, indem wir es uns zwischen dem Sperrgepäck so bequem wie möglich machen und das Umland des Ayeyarwadys genießen. Als wir beginnen Sonnencreme auf Gesicht, Arme und Beine aufzutragen, begegnen uns erstaunte und verständnislose Blicke der in Jacken gehüllten und mit Hüten ausgestatteten Leute um uns herum. In der Zwischenzeit legt der Kapitän durchgehend an den unscheinbarsten Stellen an, um weitere Passagiere an Bord zu nehmen. So verwundert es auch nicht, dass wir mit Einbruch der Dunkelheit nicht wie vorgesehen in Mandalay einlaufen, sondern mitten auf dem Fluss planlos umherirren auf der Suche nach einer Stelle, die tief genug ist, um sich als Fahrrinne zu eignen. Zu diesem Zweck steht ein Helfer am Bug und stochert kontinuierlich mit einem markierten Stock im Wasser herum. Jedesmal, wenn das Boot den Rückwärtsgang einlegt, ziehen dabei die ungefilterten Abgase durch die Reihen. Es riecht schlimmer als auf einer Tankstelle und das Atmen fällt schwer.

Auch Schränke finden auf dem Boot Platz, wenn es sein muss. Mehr Transportmittel als Urlaubsdampfer.

Auch Schränke finden auf dem Boot Platz, wenn es sein muss. Mehr Transportmittel als Urlaubsdampfer.

Die Tatsache, dass es sich ein Großteil der Reisenden mittlerweile wieder auf ihren Pritschen gemütlich gemacht hat und versucht, ein Auge zuzudrücken, macht uns nicht unbedingt Mut hinsichtlich einer baldigen Ankunft. Stattdessen versammeln sich urplötzlich tausende mottenähnlicher Insekten um die leuchtenden Neonröhren an Bord, bis zu dem Punkt, an dem alle um sich schlagen, sich Decken über den Kopf werfen oder fluchtartig an Deck klettern. Irgendwann kommt jemand auf die clevere Idee, der hitchcockartigen Situation durch Ausknipsen der Lampen ein Ende zu bereiten und wir tuckern in völliger Dunkelheit weiter ins Ungewisse.

Als wir in Mandalay anlegen, sind wir angespannt und erleichtert zugleich. 16 Stunden auf dem Dampfer zehren an den Kräften. Der ursprüngliche Plan, mit dem Nachtbus gleich weiter nach Rangun zu fahren, ist auf Grund der Verspätung nicht mehr umsetzbar. Da allerdings zu diesem Zeitpunkt ein kühles Bier und ein Bett zum Schlafen sowieso einen größeren Reiz ausüben, stört uns das nicht. Ein Motorradfahrer erspäht uns von der anderen Straßenseite, ruft einen zweiten Kollegen herbei und im Nu erreichen wir auf ihren Rücksitzen das nächste Hotel, wo wir den Schlaf der Gerechten in Anspruch nehmen.

Abenteuer oder Komfort?

Zweifellos war die Reise in den Norden beschwerlich. Die Frage ist wohl, wieviel man bereit ist, auf sich zu nehmen, um in Gegenden vorzudringen, die bisher vergleichsweise wenige Touristen aufgesucht haben. Als Belohnung winkt einem ein authentischer Einblick in das Alltagsleben der Einheimischen und das Gefühl, diese Ursprünglichkeit mit Händen fassen zu können. Die Burmesen machen es einem durch ihre offenherzige und freundliche Art dabei einfach, die Strapazen schnell wieder zu vergessen. Erwidert man die neugierigen bis skeptisch wirkenden Blicke der Leute mit einem Lächeln und obendrein einem grüßenden „Mingalabar“, erntet man dafür in den meisten Fällen warmherzige Sympathiebekundungen.

Insofern werden einem durch die verbindliche Art der Leute bereits einige Steine aus dem Weg geräumt. Die Hindernisse, die durch das schlechte Verkehrsnetz und die begrenzte Zugänglichkeit bestimmter Regionen entstehen, werden durch die Ehrlichkeit und Hilfsbereitschaft der Menschen mehr als aufgewogen. Womöglich ist letzteres sogar ein Stück weit als Folge der widrigen Umstände zu verstehen. Denn durch komfortablere Reisebedingungen werden immer auch neue Gruppen von Reisenden angezogen wodurch allmählich eine Anpassung an die Bedürfnisse einer zahlungskräftigen Kundschaft stattfindet und Authentizität durch kapitalistische Verwertungsmöglichkeiten ins Hintertreffen gerät. Viele scheuen den Aufwand. Wer im Winter schneebedeckte Hänge hinunterjagt, der weiß, dass selbst die traumhaftesten Pisten nicht an Überbevölkerung leiden, wenn anstelle eines beheizten Sessellifts der alte Schlepper seine Arbeit verrichtet. Ebenfalls lohnenswert ist ein Blick ins benachbarte Thailand. So schön das Land auch sein mag, der Massentourismus hat die Mentalität dort bereits zwangsläufig geprägt. So lange dies in Myanmar noch nicht der Fall ist, gibt es für Backpacker der alten Schule noch genügend zu entdecken.

 

Das Keifen der Giftzwerge

Mit drei Hefeweizen intus kann man entweder deutsche Bundestrainer interviewen oder sich in ein Online-Diskussionsforum einloggen und seine geistigen Ergüsse preisgeben. Es wird ja immer gerne behauptet, das Niveau solcher Onlinediskurse sei unterste Schublade. Stimmt auch. Oft. Man brauch nich lange suchen und findet Beiträge, die einem das Wasser in die Augen treiben, so unterirdisch sind die.

Guckt einfach mal. Jetzt! Z.B. streiken grad die Piloten. Das riecht doch förmlich nach bescheuerten Kommentaren. Und tatsächlich, einfach mal auf Süddeutsche.de gehen. “tiginius” schreibt empört: “warum können die wildgewordenen Gewerkschaftsbonzen nicht endlich schadensersatzpflichtig gemacht werden für die von ihnen angerichteten Kollateralschäden auf Seiten der unbeteiligten Passagiere???” Ich weiß auch nicht, tiginius. Hoffentlich findet sich wer, der dich für deinen Flug von Frankfurt nach München entschädigt, wo du in die Allianz-Arena gehen wolltest, um mit den 50 Euro für die Eintrittskarte den Spielern des FC Bayern ihr Traumgehalt mitzufinanzieren. Merkst du was? Egal.

“bogenhauser2013” hat absolut gar nix zu tun an einem Freitag, ähnlich wie ich, und antwortet auf jeden noch so dummen Kommentar mit einem noch dümmeren. Da sagt einer, der Streik habe zumindest die positive Wirkung einer kurzfristigen CO2-Reduktion. Einer, der die guten Seiten sieht, is doch nett. bogenhauser meint dazu: “1) Die Vulkane pusten im Durchschnitt jedes Jahr mehr CO2 und Feinstaub aus als der Flugverkehr. 2) Die Straßenbahn an der Cosimastraße ist lauter als die startenden Flugzeuge in der dem Flughafen nahest gelegenen Ortschaft.” Ich wär gern einen Tag lang bogenhauser2013. Being Bogenhauser. Bogenhauser Bogenhauser? Bogenhauser!

Auch ein Blick in die “Welt” lohnt (nie). Dort ist ein Interview mit Hamad Abdel-Samad zu lesen, dem boyfriend von Henryk M. Broder. Themen rund um den “Islam” sind ja eh Garanten für große quantitative und geringe qualitative Beteiligung. “daniel drehmer” hat auf jeden Fall die Dinge durchschaut und die einzig richtige Lösung parat: “Dieses Land wird einfach aufgegeben. Die Identität Deutschlands ist schon jetzt zu 75% weg. Die 100% erreichen wir, wenn wir einen Bundeskanzler aus “…” haben und unsere Staatreligion “…” ist. Ich (1964er) lebe hier mein Leben zu Ende und verweigere dieser Regierung meine Unterstützung wo es geht. Meine Arbeitszeit und damit mein Gehalt habe ich auf 60% runtergeschraubt. Und ich wähle die Alternative.” Viel Stoff drin in dem Kommentar, wenn auch ohne jeglichen Zusammenhang. Wir leben also noch zu 25% in Deutschland, darum sollten wir 40% weniger arbeiten und verdienen? Clever! Die noch tiefgründigeren Kommentare sind leider nicht mehr zu lesen, da ungefähr jeder dritte Kommentar von der Redaktion gesperrt wurde. Und das soll schon was heißen, denn bei der Welt lässt man auch die deppertsten Aussagen durchgehen. Das Dilemma der Meinungsfreiheit.

Also ich glaub, es gäbe noch so einige Beispiele für hirntoten Stuss, wenn man sich noch ein bisschen umsieht in den Foren. Aber jetz kommts: Der Fehlschluss, der daraus gezogen wird, ist der, dass behauptet wird, in der Offline-Welt Kommunikation werde durch soziale Umgangsformen und fehlende Anonymität nicht so viel rumgekeift. Dann möchte ich da kurz einhaken. Vor kurzem erst gabs folgende Situationen:

1) Ich fahre nachts mit dem Rad nach Hause. Vor mir latscht einer bei Rot über die Straße, so dass ich ausweichen muss. Er: “Ähhh, mach ma Licht an, ähhh!” – “Ich hab doch Licht an.” – “Halt die Fresse!”

2) Im Park joggen gewesen. Einer von drei Halbstarken, die da rumlungern: “Du siehst aus wie ein Stück Scheiße mit zwei Augen aufm Tanga.” Ich hab es versucht, mir vorzustellen, aber schwierig. Tanga auf Scheiße?? Seine Fantasie will ich nicht haben.

Deswegen geh ich wahrscheinlich so wenig unter Menschen. Und auch andere, die ich kenne. Also, in Online-Foren wird sowas wenigstens gelöscht. Wer macht das auf der Straße für mich? Ja wohl niemand. Soll mir niemand kommen und sagen, im Internet würde nur Driss gelabert. Da tummelt sich halt nur alle und jeder. Inhaltlich wertlos, aber so isses. Die verbalen Ausfälle zumindest gibt es nur noch im echten Leben. Kann man mit Humor nehmen, tu ich im Netz auch. Anders ist es ja teilweise nicht zu ertragen.

 

looky looky my friend!

Eine Flut an Eindrücken, die ich erstmal verarbeiten muss seit ich aus Myanmar zurück bin. Myanmar? Is datn Land? Jo, Myanmar hieß mal Birma (oder Burma), bevor die Militärjunta entschieden hat, ein neuer Name, der weniger an die Episode britischer Kolonialherrschaft erinnert, täte gut. Im Westen (oder “links”, wie man im Erdkundeunterricht zu sagen pflegte um den Lehrer zur Verzweiflung zu bringen) grenzt es an Indien und Bangladesh, im Osten an China und Thailand. Also nicht weit weg von da, wo Europäer sich Frauen kaufen. Nee, also kein Scheiß, das hätt ich in diesem Ausmaß so nie gedacht, aber heftig heftig fiederallala, wieviele Körperkläuse man in weiblicher und/oder jugendlicher Begleitung durch Bangkok laufen sieht. Naja, darauf wollt ich ja jetzt gar nicht hinaus. Was Myanmar betrifft, fällt bei vielen der Groschen erst, wenn man den Namen “Aung San Suu Kyi” erwähnt. Bzw. bei “Hausarrest” und “Friedensnobelpreis”. “Ahh, die. In das Land kann man reisen? Ich dachte, da dürfe man gar nicht rein?!” Ja, geht.

Schon geil: Schwedagon bei Nacht.

Schon geil: Schwedagon bei Nacht.

Noch geiler: Das leckere Essen

Noch geiler: Das leckere Essen

Auch wenn der Urlaub kein Urlaub im klassischen Sinne (=Erholung) war, haben sich viele schöne Erinnerungen in mein Hirn eingebrannt. Allen voran die ehrlich gemeinte Herzlichkeit der Burmesen (ich benutz den Begriff jetzt einfach synonym für die EinwohnerInnen Myanmars auch wenn hiermit klar gestellt wird, dass diese eigentlich nur EINE Volksgruppe von vielen darstellen. Right?). Jaja, is jetz nix neues zu sagen: “Die sind so nett!” Das hört man ständig von Leuten, die im Ausland unterwegs waren (außer Italien vielleicht. Und Frankreich. Und Indien. Und China. Wen nerviges vergessen in meiner pauschalen Abkanzelung?) Aber die Einheimischen dort sind wirklich sehr sehr nett!

Es ist nicht kühn zu behaupten, dass die langjährige Isolation und Unterdrückung durch die Militärführung dazu geführt hat, dass den nun vermehrt einströmenden Besuchern große und weitgehend unbefangene Neugier entgegengebracht wird. Skepsis in den Blicken lässt sich meist durch ein breites Lächeln ausräumen. Wenn man dann noch ein “Mingalabar!” (“Hallo!”) hinterher schiebt, hat man eh schon gewonnen. Jeder, der schonmal Länder wie Marokko, Thailand oder Indien bereist hat, wo sich tagtäglich Tausende von Touris durch den Bazar quetschen, weiß, welche Ausmaße die Beziehung Ausländer-Einheimischer besonders an solchen Orten annehmen kann: Der Touri ist der wandelnde Geldautomat, den es möglichst energisch zu bearbeiten gilt, damit er ordentlich Kohle ausspuckt. Irgendwie normal und verständlich, aber trotzdem nervig, weil sich dadurch langsam aber sicher ein grundsätzliches Misstrauen einbrennt, dass ja eh alle Freundlichkeit letztlich nur dem Zweck dient, was herauszuschlagen. Was sich wiederum mies anfühlt, weil man ja niemanden im vorhinein sowas unterstellen will.

Ich musste das erstmal verlernen. Man merkt jedoch sehr schnell, dass die Menschen in Myanmar einen nicht bescheißen wollen. Man kann sich wirklich besten Gewissens auf die Leute einlassen und gegenseitig voneinander lernen. Und am Ende steht eine neue Erfahrung und vielleicht eine Erkenntnis mehr auf der Haben-Seite. Nen Obulus in irgendeiner Art beizusteuern fällt dann auch viel leichter, weil es aus Überzeugung und gutem Willen geschieht.

Fährt man nach beispielsweise nach Bangkok, da ist der Zug längst abgefahren. Der Massentourismus hat die Mentalität nicht unbedingt zum Vorteil geprägt. An Hand eines typischen Marktbesuchs lässt sich eigentlich ganz treffend nachzeichnen, worin sich die beiden Länder unterscheiden:

Auf dem Bogyoke Markt in Rangun gehts schon bisschen offensiver zu, aber meistens steht der Shopbesitzer oder die Standbesitzerin in der Ecke, lässt einen gewähren und grüßt einen überschwänglich sobald man selbiges tut. “Mingalabar!” – “Mingalabar!” Findet man nichts, geht man wieder raus. “Thank you! Bye!” – “Thank you!” Danke, dass ihr mal reingeschaut habt und kommt bald wieder. Findet man doch was: “How much is it?” Meistens ist es dann eh schon echt preiswert, aber es ist halt ein Markt und da handelt man. Wenn man zu weit geht, merkt man es sofort. Wohlwollend und um Verzeihung bittend wird der Vorschlag abgelehnt. “Profit is so small.” Lächeln. Ok, also dann zahl ich natürlich auch mehr. Tut mir ja nicht weh und ist immer noch ein super Deal. Dann kommt meistens auch noch eine nette Geste hinterher, z.B. geben sie einem dann doch noch nen kleinen Rabatt, weil “You are so nice.” Und man strahlt um die Wette.

Süß fand ich auch die Reaktion einer Standverkäuferin, die uns Lackschälchen anpries. Wir teilten ihr mit, dass wir soeben erst solche Schälchen erworben hatten. Was antwortet sie? Ich dachte ja, jetz kommt sowas wie: “Buy more. For family. For friends!” Oder einfach ignorant: “Very cheap!” Aber nein, sie meinte ehrlich enttäuscht: “Ohh, i am too late…” Das waren wir schon baff. Also wer schonmal durch den Souq in Marrakesch gelaufen ist…

Straßenrestaurant

Snack am Bogyoke Markt gefällig?

Feilschende Europäer

Feilschende Europäer

In Bangkok läuft es überall ziemlich gleich. Sobald der eigene Blick auch nur einen x-beliebigen Artikel streift… “Yes? Yes?” Entweder zeigen sie einem gleich noch wahllos irgendwelche anderen Artikel ohne dabei auch nur annähernd den Geschmack zu treffen oder sie zücken gleich ihren Taschenrechner. Der Taschenrechner markiert den Startschuss zum immergleichen Ritual, jetzt hängt man fest. “Normally, this price.” Es wird ein lächerlich hoher Mondpreis eingetippt, den ich wahrscheinlich nicht mal in Deutschland zahlen würde. Dann eine zweite Zahl: “For you, special price!” Am liebsten würde ich weitergehen, weil Handeln ist nicht so mein Ding. Aber während man das so überlegt, kommt schon mehrmals die Aufforderung. “What’s your last price? Give me good price!” – “Ähhhh….” Also tippe ich was ein. Standardmäßige Reaktion: “Nooooo! Give me good price!” Dabei streunen die Blicke der Verkäufer meistens in der Gegend rum. Ich wette, sobald man den Laden verlassen hat, können die sich nicht mehr an dein Gesicht erinnern. Im Falle meiner Freundin endete das Feilschen um ein Kleid so: “Come on, good price! Last price!” – “Hm. I don’t even know if it fits. Can I put it on?” – “No!” – “Ok, I think, i better leave it then, sorry.” – “Fuck youuu!” – “Äh, oh, nice.” – “Yeah yeah, nice nice… fuck you!”

Gut, am laufenden Band müssen die sich mit schäbigen Leuten auseinandersetzen, schätz ich. Besagte Sitauation hat sich in Patpong zugetragen. Dort, wo es nachts nur noch um bezahlten Sex und gekaufte Liebe geht. Ich wär auch längst abgestumpft. Dass man irgendwann nicht mehr als eigenständiges und möglicherweise sympathisches Individuum wahrgenommen wird, ist wohl als Kollateralschaden des ausufernden Massen(sex)tourismus zu verstehen. Ein Ort, an den ich nicht nochmal muss, aber der bestehen bleibt, weil immer genügend Leute dorthin finden. Das Prinzip Laufkundschaft. So wie der ekelhafte “Italiener” bei mir gegenüber, den nachts die Teenager aus der angrenzenden Jugendherberge bevölkern. Ist halt nah, billig und hat lange offen. Kann mir nicht vorstellen, dass da irgendwer ein zweites Mal hingeht.

Die Suche nach dem Authentischen ist mit Aufwand verbunden. Wer den scheut, darf nicht erwarten, etwas besonderes zu kriegen. Die Urlaube, von denen ich mich danach erstmal erholen musste, waren die, bei denen ich am meisten für mich mitgen0mmen habe. Ok, ich will trotzdem mal auf die Seychellen oder Mauritius oder so, nur chillen. Aber dann weiß ich vorher, warum ich da hin fahr und was mich dort erwartet. Ein Bilderbuchfoto fürs facebook-Profil nämlich.

Womit bewegen sich die Avengers fort wenns dunkel wird?

Fixiehipsters all over the place aufgepasst!

FUCKYEAH

Mister Spok, Superman und X-Men Papi Xavier haben ein Rad entwickelt, welches die Dunkelheit nicht scheut. Das Böse hat keine Chance, denn es reflektiert alle Energien und teilt quasi wie früher in der Grundschule seinen Widersachern mit: “Selber Arschlosch!” Wie das?

Das könnt ihr euch hier ansehen:

Wer Teil dieser atemberaubenden Sache sein will, kann ein paar Kröten in den Teich werfen und bekommt dafür sogar heißen Designershize.

Is doch krass: Man fährt total sicher weil sichtbar durch die Nacht und ist dabei der Pornokönig schlechthin, ohne aufdringlich zu sein. Weil man ja nicht wie ein Glühwürmchen alle mit seiner Leuchtkraft penetriert, sondern nur passiv das zurückgibt was auf einen einprasselt.

Reflo Avenger

Alle, die tatsächlich noch mit dem Gedanken spielen, sich so ein beliebiges buntes Fertiggerät im Laden zu kaufen, sollten überlegen, ob das mühsam gesammelte Taschengeld nicht in einem handgemachten personalisierten Produkt besser aufgehoben ist oder ob man sich nicht sogar seinen alten Drahtesel von den Jungs von Happarel auf safety und understatement pimpen lässt.

Am Wochenende mal bei der Berliner Fahrradschau reinschneien! Da könnt ihr die Prototypen begutachten. Hulk und Robocop beantworten euch eure Fragen gern.

Informationen hier:

Crowdfunding Projekt

Video

facebook

Schema F

Mich ereilte grad ein Anruf aus dem Telekom-Servicecenter. Weltklasse! Ich bemühe mich um eine sachgerechte Rekapitulation des Gesprächsverlaufs:

“Isch spresch mit Herrn Schmitzmüllermeier (Name geändert) persönlisch?”

“Ja”

“Herr Schmitzmüllermeier!”

In der CallCenter-Verkaufsschulung und generell bei so Promotionaktivitäten lernt man, sein Gegenüber möglichst häufig persönlich beim Namen zu nennen. Verbindlichkeit und eine persönliche Atmosphäre schaffen. Was schwierig ist, wenn die gelernten Sätze so halb abgelesen halb aus der Erinnerung rausgequetscht daherkommen.

“Ja?”

“Sie sind ja seit September Kunde bei uns. Dafür möschten wir uns bei Ihnen dursch eine… äh… Treueaktion bedanken!”

Geil, es gibt was umsonst!

“Wir möschten Ihnen die… äh… Gelegenheit geben, ihren Vertrag noch weiter nach ihren persönlischen Bedürfnissen zu zu… öhm… zuzuschneiden.”

Ich hab doch flatrate für alles. Was wollen die noch zuschneiden?

“Sie nutzen ja den ‘Comfort Friends M’ Tarif. An sisch ne clevere Wahl, sachischma.”

Komplimente streuen. So der Style: “Du bist ja eh total gewitzt, was erzähl ich dir hier eigentlich. Bisher haste alles richtig gemacht, aber es geht eben NOCH besser, wie ich dir gleich verraten werde”.

“Da haben Sie siebenhundertfünfzisch… äh… Gigabyte…”

Der meint Megabyte, wurscht.

“… monatlisch zur Verfügung. Wir bieten Ihnen jetzt an, auf ganze 1,25 Gigabyte aufzustocken.”

Das “Eins Komma Zwei Fünf” so ganz dolle künstlich betont, als würde das mein Leben komplett umkrempeln und ich könnt mich mit meinen 500 Extra-Smartphone-MB jetzt ins Weltall beamen.

“Normalerweise kostet das im Monat Zwanzisch Euro mehr, aber nicht für Sie, Herr Schmitzmüllermeier! Das ist unser Dankeschön an Sie!”

Och nice, paar Megabyte mehr nehm ich. Brauch ich zwar nicht, denn ich komm eh nie auch nur annähernd an mein Limit, aber nem geschenkten Gaul…, ne.

“Für Sie macht das nur 4,95 Euro!”

Ahso, ja dumm von mir. Naive Prinzessin, ich. Wie konnt ich nur glauben, die Telekom will einem was schenken. Und stellt dafür noch Leute ein, um einem dieses Geschenk ungelenk mit ein bisschen Honig ums Maul zu kredenzen.

“Ihre Adresse ist noch die gleiche, ja?”

Wie jetz? Hab ich was nicht mitbekommen? Haben wir da nicht nen entscheidenden Punkt übersprungen? Der wartet gar nicht darauf, ob ich dem zustimme, sondern geht schonmal an die Formalien. Sapperlot ja, die Überwältigungsstrategie: Knaller Angebot! Wennste das nich machst, biste ja schön blöd. Nur für Dich persönlich, so ein Deal! Wahnsinn! Ja nee.. äh jaa… Adresse ist noch dieselbe.

“Äh Moment! Ich muss dann also 4,95€ jeden Monat mehr zahlen?”

“Herr Schmitzmüllermeier!” Gespielte Empörung. “Wenn wir jetzt von einem Kraftfahrzeug reden würden, oder einer Immobilie…”

Hä?

“Aber 4,95€… Isch bitte Sie! Das ist ja nisch der Rede wert.”

“Ja, aber das sind sinnfreie vier Euro fünfundneunzig, die ich zahle. Ich komme eh schon nie an mein derzeitiges Datenlimit.”

Pause. Er kramt in seinem Gedächtnis. Oder seinen Schulungsunterlagen. Dann:

“Stellen Sie sich das vor wie bei einer Tankstelle…”

Wat jetz wieder? Kann ich dem folgen? Nee. Aber ich höre mir das mal an. Was die sich in Verkaufsschulungen so an taktischen Spirenzchen und Geschichten ausdenken, will ich jetzt schon wissen. Amüsierte Neugier.

Achso, aber vorher noch schnell hinterher geschoben natürlich ein: “…Herr Schmitzmüllermeier.”

“Sie tanken Ihr Auto montags immer für 15 Euro, ja?! Damit kommen sie immer für 3 Tage hin.”

Ich hab ja kein Auto. Aber machen das Leute so? Für nen geringen Betrag jeden Montag für die ganze Woche tanken?

“Mmh.”

“Jetzt kommt aber mittwochs ein Anruf, dass sie weit weg fahren müssen. Dann ärgern Sie sisch, dass sie nicht schon gleich mehr getankt haben!”

Jaja, da würd ich mich aber in den Arsch beißen, mensch. Toller Vergleich! (An dieser Stelle ein Kompliment an meine Contenance, dass ich nicht losgeprustet hab. Ich wollt das nämlich bis zu Ende hören.)

“Ich finde das ja ehrlich spannend, was Sie so alles in ihren Workshops lernen, aber Tatsache ist nach wie vor, dass ich das absolut nicht brauche, und ich 4,95€ zum Fenster rauswerfe. Was ich nicht beabsichtige.”

“Das ist ein einmaliges Angebot für Sie als Treuekunden…!”

Oh jee, jetzt kommt Verzweiflung ins Spiel… Auch zu erkennen an dem latent aggressiven Unterton, der durch die sich immer weiter in die Ferne rückende Verkaufsprovision zu erklären sein könnte. Eine klare Feststellung hilft:

“Sie beißen auf Granit!”

Ich hab selber mal im CallCenter gearbeitet, daher tut mir der Wicht auch ein bisschen Leid. Nicht viel, aber ein bisschen.

“Ist jetzt gar nichts persönliches, verstehen Sie. Das macht nur alles einfach überhaupt keinen Sinn für mich!”

“Ok, Herr Schmitzmüllermeier, dann nehmen wir das zur Kenntnis und vermerken das. Und dann wünsch isch Ihnen noch einen überaus schönen Tag!”

“Den wünsche ich Ihnen auch”!

Tue ich ehrlich. Der nächste Telefonakquisant (boah, das Wort gibts nicht, oder?! Sollte es aber!) surft ja vielleicht auf redtube in der Ubahn und hat auf dieses Upgrade händeringend gewartet. Oder er/sie ist einfach nur ein Trottel. Oder alt und senil.

Es lohnt sich jedenfalls, die unmittelbar einsetzende Reaktanz bei offensichtlichen CallCenter-Anrufen zu unterdrücken und sich anzuhören, was die armen Schergen im Auftrag ihrer Arbeitgeber an hobbypsychologischen Appellen durch die Leitung säuseln. Keine schlechte Unterhaltung.

Das epische Limit

In manchen Regionen ist man nicht mit nennenswerten Radiosendern gesegnet. Immer wenn ich mich mal wieder nach NRW verirre beispielsweise, erinnert mich das sich ständig wiederholende Geplärre auf 1live daran, dass gute Musik im Radio leider kein Menschenrecht ist. Derorts bin ich sogar soweit gegangen, dass ich meine Devise „Im Radio will ich nicht vollgelabert werden, sondern Musik hören!“ nochmal überdacht und dabei WDR5 schätzen gelernt habe. Das entspannt mich. Im Gegensatz zu dem EDM-Pop-Getrashe, das als hip und fresh daherkommen will, indem man irgendwie auf den „Electro“-Zug aufspringt und nen angesagten Rapper belangloses Zeug quasseln lässt. Von der Sorte gibt’s auch reichlich, wenn man auf einem Bauernhof in Tirol das alte Küchenradio anschaltet, wie ich kürzlich. Das Teil hatte noch einen Schieberegler für die Lautstärke und ein Doppelkassettendeck.

Wenn man dem stressigen Mainstream-Genöle darin entkommen will, bleibt einem die Alternative zwischen lokaler Volksmusik, Aprés Ski und unverständlichem Geblubber. Das Beste war irgendwie noch was, wo sie All-Time-Favourites gespielt haben, 80er und so. Was jeder kennt. Solche Sender gibt’s ja dann doch überall. „Das Beste der 80er, 90er, und von heute [Echo: heute heute heute]!“ (Dabei frag ich mich immer, was mit den 2000ern ist!? Waren die so scheiße? Dass man damit noch nicht mal werben kann?!)

Gleich nach Tina Turners „Simply the Best“ und diesem Turn arouuuuund! Blalala i need you more than ever bla“ kam dann „Bilder von dir“ von Laith Ala-deen, ein typischer Radiosong auch. Hört man immer, ständig, überall. Kennt sogar schon den Text und summt ihn mit, obwohl man keinen Schimmer hat, wer das singt, warum der das tut, und ob ihm nicht mal jemand hätte sagen können, dass das nervt. Man will das gar nicht mit summen. Weil mans eigentlich doof findet, das Lied. Wir wissen: Es appelliert an unsere niederen emotionalen Instinkte und berührt uns, ohne dass wir darum gebeten hätten.

Der Grund ist: das epische Limit. Es wird in seiner Bedeutung als „Limit“, also Grenze, missinterpretiert, indem dieses, eigentlich als Ausnahmezustand anzusehen, in diesem Fall jedoch zur Regelmäßigkeit erklärt wird. Mit anderen weniger gebürsteten Worten: Der emotionale Klimax des Songs ist die ganze Zeit über. Und das kann ich nicht ertragen. So wie bei Katastrophenfilmen von Roland Emmerich, wo die Welt die ganze Zeit überm Kopf und unter den Füßen gleichzeitig wegbricht. Zu lange am epischen Limit. Oder die Guetta-Show mit dick Laseraction, so lang bis die Synapsen kokeln. Soviel komprimierter Trancesound und Crowd-Gejubel vom Band, dass man meint, die Welt könne nicht mehr geiler sein als in diesem einen Moment. Zu viel episches Limit… Drama, Drama, Drama, Ekstase. Deswegen mochte ich auch Florence and the Machine nie. Hat mich innerlich zu doll aufgewühlt.

Alles zusammen funktioniert natürlich gut. Wer kennt es nicht: Die finale Kussszene im Hollywood Blockbuster unterlegt von Mariah Careys zitternder Kopfstimme. Da weiß man: Alles ist gut! Und verdrückt ein kleines Kullertränchen während man versucht, seinen bebenden Unterkiefer zu überspielen. Aber das geht halt nur einmal. Dann ists cool! Aber so eine an den Nerven zehrende emotionale Hardcore Achterbahnfahrt ohne eine harmlose Gerade, bei der man mal Luft holen kann, halt ich nicht aus. Dann fühl ich mich so wie James Franco „127 Hours“, wo er sich seinen Nerv mit seinem stumpfen Taschenmesser zerrupft. Ich mag es schon, wenn Musik etwas in mir auslöst und meine Psyche kitzelt. Es darf einem aber nicht so brutal in die Fresse gestopft werden. Subtilität ist Trumph, Simplizität oftmals ihr gern gesehener Sidekick. Mal nen Gang runter schalten, denn die Coolness schwingt nunmal im Subtext mit, wie Moritz Bleibtreu schon zu wissen glaubte.

Durch glückliche Umstände fiel mir die Tage ein Gutschein für einen Tag im Holmes Place in die Hände. Obwohl dieses riesengroße Fitnessstudio nur ein paar Minuten Fußmarsch von mir entfernt liegt, hatte ich das noch nie vorher gesehen. Danach gesucht hab ich natürlich auch nicht. Fitnessstudios sind für mich der Inbegriff unserer Wohlstandsgesellschaft, in der der “Arbeit” degeneriert worden ist zu stumpfen Computertätigkeiten und “zu Fuß gehen” bereits als Freizeitbeschäftigung gilt. Ein Hort der Unzufriedenheit, wo Gleichgesinnte an ihren persönlichen physischen Baustellen arbeiten, um einer von der Werbeindustrie konstruierten Perfektion nachzueifern. Brüder und Schwestern im Geiste, die sich doch gegenseitig neidvoll auf die Hintern starren. Der “Ausgleich” vom Büroalltag hat dabei nur so lange seine Daseinsberechtigung als Grund zur Mitgliedschaft, solange gleichzeitig Cellulite bekämpft wird oder der Bizeps an Umfang gewinnt.

Einen Freund durfte ich mit rein nehmen. An der Rezeption mussten wir allerdings erstmal einen Fragebogen ausfüllen, der mer Kreuzverhör war und einem schon beim Ausfüllen ein schlechtes Gewissen macht. Warum man denn nicht “trainiere”, und wann das letzte mal gewesen sei. Welche Ziele ich hatte, und ob sie erreicht habe bzw. warum nicht. In jeder Frage irgendwas mit “trainieren”… trainieren, trainieren, trainieren, mir wird schwindelig. Ich will doch nur in die Sauna, nu lass mich doch. Irgendwann erlöst die Dame uns und sagt: “Ist ok, das reicht.” Puh, ich war schon kurz vorm weinen.

Der Plan war bei -10 Grad Außentemperatur relativ klar: Sauna. Der Laden ist nämlich nicht nur Fitnessstudio, sondern hat auch Sauna und Schwimmbad im Angebot. Also haben wir erstmal zwischen einem ambitionierten Krauler auf Bahn 2 und einer älteren Dame der Sorte “Ich hebe meinen Kopf so weit wie möglich aus dem Wasser, damit meine Fönfrisur nicht nass wird” (ich hätte um der guten alten Freibad-Zeiten Willen eine Arschbombe neben sie setzen sollen) ein paar Bahnen gezogen. Rund um das gläserne Schwimmbad sind auf zwei Etagen die Pumpwerkstatt und gängige Ausdauergeräte angeordnet, so dass die Auf-der-Stelle-Läufer und Trockenruderer am Fenster die Wasserratten im Becken beobachten konnten und umgekehrt.

Da ich Schwimmbäder ohne Sprungtürme und -bretter langweilig finde, sind wir nach 200 m Lagen (Kraut und Rüben) in den Wellnessbereich abgezogen. Zu unserer Verwunderung hingen dort an den Wänden ca. 700 Kleiderhaken bei ganzen drei Duschen. Man stellt sich also nackt in die Schlange um zu brausen, und wenn man endlich dran war, begibt man sich auf die Suche nach seinem Handtuch. Neben gefühlten 5000 Quadratmetern Gerätepark blieb leider auch nur noch Platz für eine kleine finnische Ecksauna, ein Dampfbad und eine von diesen “Biosaunen”, wo das Licht irritierenderweise ständig wechselt und einem 60 Grad bloß ein müdes Lächeln auf die Lippen zwirbeln. Also gleich in die “richtige” Sauna zur Salamiparty. Erst nach ner halben Stunde wurde uns bewusst, dass es sich doch um einen gemischten Bereich handeln musste, als sich ein weibliches Wesen zwischen all den Lurchen identifizieren ließ. Ob die sich so richtig wohl gefühlt hat… schwer zu sagen. Jedenfalls betrat sie die Sauna in Begleitung ihres äußerst muskulösen Freundes, der ihr mit einem Fingerzeig deutete, wo sie sich hinzusetzen habe: Auf die mittlere Bank zwischen seine Füße. Die Harten nach oben. Sie, bis unters Kinn in ihr Handtuch eingewickelt, setzte sich gefolgsam schräg vor ihn und eine Etage tiefer hin, um sogleich dienerisch sein Bein zu streicheln. Erinnerte mich schwer an “Prison Break”, wo der böse “T-Bag” sich seine Jüngelchen hielt wie reudiges Vieh, indem diese niemals seine Hosentasche loslassen durften.

In der Sauna herrscht sowieso immer eine gewisse Ratlosigkeit darüber, welche Regeln dort gelten, so dass es einige selber in die Hand nehmen. “Was dagegen, wenn ich nen Aufguss mache? Dann wirds hier drin vielleicht ein bisschen ruhiger…” Aha, Sauna ist also Ruhebereich. Denkt dieser Herr. Und kippt Wasser über die Steine als gäbe es keinen Morgen mehr, setzt sich anschließend auf die unterste Bank, um daraufhin die Sauna als erster zu verlassen. Das ist natürlich auch ne Strategie. Der volltätowierte Typ neben mir stöhnt schon seit geraumer Zeit rum und rubbelt sich dabei an seinem siffigen Körper den Schweiß hoch und runter. Kein Fan von Understatement, scheint mir.

Nach dem dollen Aufguss, der irgendwann unsere Augen pulsieren ließ, ab in den Ruheraum. Ich habe noch nichtmal zwei Gedankengänge bis zu Ende gebracht, da packt mich die Angst, meine Kollege sei tot, als ich mich zu ihm umdrehe. Mit überstrecktem Kopf und offenem Mund liegt er dort wie ein Reanimationspatient auf der Krankentrage. Aber er atmet. Relativ laut irgendwann auch, so dass ich ihn wecke und wir uns für unseren letzten Gang frisch machen. Wieder so ein Aufguss-Profi, der sich selbst überschätzt. Vielleicht geht es auch nur um den kurzen Schmerz, die Gänsehaut, die die Affenhitze auslöst. Ein bisschen Masochismus muss dabei sein, schon in Ordnung. Der Hang zur Selbstpeinigung sollte ja eh allen Fitnessstudiogängern gemein sein.

Die Plätze des Grauens mal schön

Zwar fahren im Winter die Züge wieder nicht richtig, weil der so “überraschend” kam, aber wenn man sich nicht auf seine langsam absterbenden Zehen konzentrieren will, während man auf tristen Bahnhöfen Lebenszeit verplempert, birgt der Schnee zumindest ein bisschen Abwechslung vom üblichen Grau-in-Grau. Ich musste gestern durch die Stadt tingeln, “Besorgungen” machen und hab einfach mal meine olle Kamera eingesteckt. Und siehe da, manche verpönte Ecken haben mit dem richtigen Blickwinkel und ein bisschen Schnee obendrauf irgendwie Charme.

Berlin ist bekanntermaßen eine einzige Baustelle. Man verschafft sich mit der freudigen Erwartung darauf, wenn alles endlich mal fertig ist und in prachtvollem Glanz erscheint, ein wenig Luft und betrügt sich dabei selbst. Aber so what, wir leben ja alle irgendwie für eine Zukunft, die wir uns krampfhaft bilderbuchmäßig schön malen, weil wofür sonst jetzt soviel ackern? Wenns jetz schon kacke is, dann muss es wenigstens irgendwann geil sein. Hm ja, ich weiß ja nich, ob die Rechnung aufgeht…

Das Ostkreuz: Einfach schön! Ein grauer Kasten mit Fenstern, wie jeder andere auch. Extra so entworfen, muss man sich vorstellen. Sagenhaft! Darunter versammelt ein neues Gleis in Richtung Stadt die Menschenmassen in einem zu kleinen und dunklen Panikraum zwischen Betonpfeilern und Schienen, dass einem diverse Horrorvorstellungen von tödlich ausgehenden Missgeschicken und klaustrophobischen Angstzuständen durch die fragile Psyche jagen. Dass die Leute da möglichst schnell weg wollen, erkennt man daran, dass die Zusteigenden von außen bereits panisch auf den Türknopf drücken, als ob diejenigen, die aussteigen wollen, nicht selbst auf die Idee kämen, diesen zu betätigen. Das verdutzte Gesicht der Zusteigenden, wenn die Tür aufgeht und sie den Ausgang blockieren und nicht wissen, was sie nun tun können, um dieser Situation beizukommen, ist womöglich kein Ostkreuz-Phänomen, zugegeben. Rumschnauzen ist übrigens die am häufigsten verwendete Problemlösungsstrategie, hab ich bemerkt. Kurz danach kommen unspezifische Drohungen gefolgt von völliger Ignoranz, die ich persönlich erfrischend bewundernswert finde. Würde ich mir gerne eine dicke Scheibe von abschneiden.

Überbleibsel des alten Ostkreuzes

Zumindest unterlässt die Rolltreppe seit längerem dieses trommelfellzerberstende Quietschen. Vermutlich weil sie meistens kaputt ist. Mir klingen da noch die philosophisch anmutenden und mit der nötigen Brise an ironisch-fatalistischem Unterton geschwängerten Worte eines Bekannten nach: “Wenn die große Pfütze da unten irgendwann weg ist, dann ist das Ostkreuz wirklich nicht mehr, was es mal war.” Für mich persönlich ist diese Pfütze das Wahrzeichen Berlins. Dieser momentan halb zugefrorene See muss mittlerweile ein eigenes Ökosystem sein. Es wundert mich, dass da noch keine Umweltschutzorganisationen drauf aufmerksam gemacht haben. Naja, es gibt andere Baustellen, z.B. die Höhle unterm Ostkreuz für eine Autobahn, die möglicherweise niemals gebaut wird.

Ich fahr eigentlich nie noch weiter in den Osten, weil da bin ich ja schon. Ich fahr normalerweise nach Westen. Außer diesmal. Da hats mich nach Marzahn verschlagen. Plattenromantik. Oder war das Lichtenberg? Nee, Marzahn gehört zu Lichtenberg, oder?! Kenn mich da nich so aus. Auf jeden Fall ist man da ganz schnell in einer anderen Welt. Zwischen den Betonmonstern, die man zwecks Lebensqualität bunt angemalt hat, kommt man sich ganz schön klein vor. Verlaufen will man sich da auch nicht, weil die Proportionen da einfach anders sind. So wie Gulliver, nur andersrum. Vor mir lief ein Gothic-Mensch oder so, jedenfalls ganz in Schwarz mit langem langem Mantel, Lackstiefeln und einer angenähten Stoffratte auf der rechten Schulter. Dann noch eine schmale junge Frau mit bunter Testfrisur und der Rest waren eigentlich nur alte Menschen mit diesen Stoffwägelchen, mit denen man einkaufen geht. Also mit denen alte Menschen einkaufen gehen. Oder die junge Menschen auf Festivals mitnehmen und meist anschließend zurücklassen, da sie der Last der Bierpaletten nicht gewachsen waren. Aus dem oberen Stockwerk so eines Plattenbaus hat man allerdings nen interessanten Blick auf das kunterbunte Mutantenmonopoly.

Pladde

Der schlimmste Platz auf Berliner Boden ist unzweifelhaft die Warschauer Brücke. Da könnt ich jedesmal im ganzen Strahl brechen, wenn ich da rüber muss. Mir fällt wirklich kein einziges Argument ein, warum man diesen Ort nicht in die Luft jagen sollte (Schaboom!, und schon steigen meine Klickzahlen. Wart, wenn ich schon dabei bin, tagge ich noch NSA-optimiert: Pentagon, Obama, Explosion, Bombe, Dschihad, AK 47, how-to-build-a-bomb, Penispumpe, ah nee falsche Rubrik…). Wenn man mich foltern wollen würde, dann müsste man mich einfach auf die Warschauer Brücke ketten. Irgendwann hätten mich Partytouristen, gestresste Berufstätige, Simon-Dach-Publikum und schlechte Straßenmusikanten schon weich gekocht.

Brücke des Grauens

Auch die Bahnen scheinen diesen grausamen Ort zu meiden. Dort steht man im schwarzen Loch des S-Bahn-Verkehrs. Als würde man gezwungen, zwischen grölenden, kotzenden und pöbelnden Menschen zu warten, als eine Art Anschauungsunterricht gemeiner Drogen. Meist Alkohol gepaart mit charakterlichen Defiziten. So wie zu Schulzeiten, als der Polizist den in der Sporthalle versammelten Schülern die schlimmen Auswirkungen des Drogenkonsums veranschaulichen wollte. Schickt sie einfach mal nachts auf die Warschauer Brücke, besser geht Anschauungsunterricht nicht.