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Wenn ich ahnungslos wäre

Manchmal wär ich gern in meiner kleinen Welt. Hier blende ich alles aus, was mich nicht interessiert und wo alles so funktioniert, wie ich mir das zurecht lege. Dinge wie Treibhauseffekt, EU-Bio-Siegel oder Gazastreifen spielen hier keine Rolle. Dummheit und Unwissenheit, das wär mal was. Zu glauben, alles sei ne Wolke. Ich kauf mein billiges Antibiotika-Fleisch beim Discounter, lese die Bild, und bin ein unwichtiges Angestelltenglied bei einer Investmentbank. Mich kümmern Käfighühner mit gebrochenen Beinen genauso wenig wie Minderheitenhetze in buntem Toilettenpapier oder Spekulationen auf Nahrungsmittel.

Hauptsache, ich muss mich nicht mit Dingen belasten, die ich ja doch nicht ändern kann. Die guck ich mir höchstens von meiner Couch aus an, wenn ich die Tagesschau einschalte. Was da gezeigt wird, glaube ich. Und die mir unterschwellig eingebläute Meinung übernehme ich auch. Aber eigentlich reicht es mir schon, wenn ich mich über die lächerliche Frisur des Auslandskorrespondenten lustig machen kann.

Ich kümmere mich um die Geranien auf meinem Balkon und schneide den herrlich blühenden Ast, der von meinem törichten Nachbarn herüberlugt ab, weil das mein Grundstück ist und der das bestimmt aus Bösartigkeit macht. Soll der nur kommen, dem erzähl ich was. Z.B. dass ich das Gekläffe von seinem kleinen Fiffi in den frühen Morgenstunden längst dem Vermieter gepetzt habe. Lange verpestet die Töle unsere ansonsten vorzüglich riechende Luft im Hausflur nicht mehr.

Ich muss aber auch noch schnell zu Kik, mein Spannbetttuch reklamieren, das ist nämlich völliger Müll, zerreißt schon vom bloßen Angucken. Konnte ich beim Preis von 2,99 € ja nicht ahnen, dass solche Minderware von modernen Kindersklaven in Bangladesh zusammengeklebt wird. Na, die Verkäuferin wird was zu hören bekommen, mir sowas zu verkaufen. Wird doch ausgezeichnet dafür bezahlt, der Ramschbude einen halbwegs menschlichen Anstrich zu verleihen, bevor sie dann am Abend ihrem dritten Nebenjob nachgeht, um ihre zwei Kinder durchzubringen.

Ein bisschen frische Luft tut sicher gut. Obwohl, mit dem Wagen ist irgendwie praktischer. Dauert zwar viel länger, mich mit dem SUV durch die Fußgängerzone zu drängeln, aber da sind ja wirklich schon ein paar graue Wolken am Himmel. Sicher ist sicher. Bei der Gelegenheit könnte ich auch gleich noch was einkaufen. Einen neuen Staubsauger vielleicht? Der alte macht so komische Geräusche. Reparieren rentiert sich da bestimmt nicht, lieber neu kaufen. Dann lohnt sich das mit dem Auto auch gleich viel mehr. Wobei, da muss ich sowieso kein schlechtes Gewissen haben, ich tanke E10, obwohl es einen Cent teurer ist als der normale Sprit. Was tut man nicht alles für die Umwelt.

Den Biotrend lasse ich mir allerdings nicht aufschwätzen, dazu bin ich zu aufgeklärt. In einer Reportage habe ich nämlich gesehen, dass auf Bio-Höfen Schindluder mit dem Siegel getrieben wird. Alles nur Geldmache. Dem trotze ich und kaufe das Analogprodukt aus dem untersten Regal. Da wird schon irgendwas drin sein, was der Ernährung eines menschlichen Wesens dient. Auf der Verpackung steht jedenfalls sowas wie „Für eine gesunde Ernährung“ oder „mit extra Vitaminen“, also im Prinzip eine andere Formulierung für „Zum Scheißen reicht’s!“.

Ich würde ja gerne die vakuumverpackte Fleischwurst aus dem Karton ziehen, aber da steht so eine Islamistin mit Kopftuch samt Kinderwagen im Weg. Heute muss also Ehefrau Nr. 4 für die 30-köpfige Familie shoppen gehen. Kommen die nicht aus dem Mittelalter, um sich in unserer aufgeklärten Gesellschaft breit zu machen? Mit einem bestimmten, möglicherweise leicht gereizten „Darf ich ma? Ja? Danke!“ bücke ich mich auffällig umständlich, um an das schmackhafte Premiumprodukt zu gelangen. Jetzt aber schnell zur Kasse, sonst belegt die mich mit einem Fluch oder so was. Toll, die Schlange an Kasse 1 ist mal wieder ewig lang. Mindestens drei Kunden stehen vor mir, d.h. sicher 2-3 Minuten Wartezeit. Soviel Zeit hab ich nun wirklich nicht, immerhin fängt gleich „Liebe, Sünde, Leidenschaft“ an und Folge 466 verspricht ein echter Kracher zu werden. Also schrei ich durch den Laden: „Zweite Kasse aufmachen!“ und füge gedämpft an: „Gibts doch nicht! Was machen die denn hier den ganzen Tag?“ Waren annehmen, auspacken, einsortieren, Flur putzen, Regale aufräumen, kassieren, alles gleichzeitig… wird ja wohl zu schaffen sein.

Zeit, dass ich mir nach dem ganzen Stress was gönne. Ein zweites iPhone wäre sinnvoll, hat man eins mehr. Der Akku vom alten hält auch nicht mehr so lange. Was, wenn ich mal drei Wochen am Stück unterwegs bin und kein Ladegerät dabei habe? Mit dem Kauf kurbel ich außerdem die Wirtschaft an, und Wachstum ist ja gut. Der Börsenheini in den Nachrichten ist jedenfalls immer gut drauf, wenn diese zackige Kurve im Hintergrund nach oben zeigt.

Das neuerworbene Objekt der Begierde zeige ich auch gleich meinem Anwalts-Kumpel, der mir erzählt, dass er heute wieder massig Minderjährige mit Abmahnungen überschüttet hat. Ich kann ihn nur bedingt beeindrucken, weil er hat das neue iPad, und das kann auch total viel. Eigentlich ist es ja auch scheißegal, was die Dinger alles können, solange ich das Gefühl hab, mir mit den richtigen Produkten Zugehörigkeit zum erlauchten Kreis der Statusneurotiker zu verschaffen. Haben oder nicht haben. Dafür zahl ich auch mehr als nötig. Ich quäle mich doch nicht durch zig Tests und Reviews und Preisvergleiche, um am Ende vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr zu sehen. Rationale Argumente sind mir nicht zugänglich, es geht um die emotionale Bindung. Und soziale Anerkennung.

Ich bevorzuge einfache Lösungen. Das geht schnell und unkompliziert. Ausländer raus, weil die uns die Arbeitsplätze wegnehmen. Politiker alle blöd und korrupt. Manager alle geldgeil und korrupt. Wär aber selber gern einer. Steuern senken. Hartz IV kürzen. Breitere Straßen für breitere Autos. Demonstrationen verbieten, damit ich keine Umwege zur Arbeit fahren muss. Ein farblich passender Schal zu meinem Dufflecoat.

 

Aber nein, man macht sich Gedanken über alles und zwar ständig. Dabei stellt man fest, dass es kein Schwarz-Weiß gibt. Es gibt ganz ganz viel Grau dazwischen. Die Graustufen zu erkennen und zu bewerten verlangt von uns eine Menge ab. Es sei denn, man hat grauen Star. Hahahaha, kleiner Witz am Rande. Manchmal wär ich gern ein Tier, möglichst unintelligent und instinktgetrieben. Koalas zum Beispiel, die taugen mir. 20 Stunden schlafen, 4 Stunden fressen. Und zwar ausschließlich Eukalyptus. Hammer! Wenn das so einfach wäre… Stattdessen: Wecker klingelt am besten nicht zu früh und nicht zu spät und schon gar nicht innerhalb der Rem-Schlafphase, sonst fühlt man sich erschlagen und unerholt. Die Matratze sollte nicht zu weich sein, aber auch nicht zu hart, am besten mit 7-Zonen zur optimalen Passförmigkeit. Kommt aber auch auf das Gewicht und die Schlafgewohnheiten an. Das Frühstück ist eine ganz wichtige Mahlzeit, aber sollte nicht zu schwer sein. Müsli vielleicht. Mit getrockneten Früchten, nicht mit Schokoplättchen. Und Dinkel statt Weizen, der ist bekömmlicher. Laktosefreie Milch wäre zu empfehlen. Nee, am besten gleich Sojamilch. Obwohl, Soja wird viel zu viel angebaut und nimmt Ackerfläche weg. Dann halt Müsli mit rechtsdrehendem Joghurt. Für eine ausgeglichene Darmflora. Abends nicht zu schwer essen, das verkraftest du nicht. Und lass das Bier weg! Wasch dir damit lieber die Haare, das macht sie geschmeidig.

Der Preis der Aufklärung ist gröbste Verwirrung!

5 responses »

  1. Ah! Wahh! Heiratest du mich? DANKE für diesen Text, der wird in Teilen gerebloggt, jetzt gleich!

    Reply
  2. Ähm Hallo,

    Ich komme gerade rüber aus Chris Therapiegruppe, weil Du da heute Thema des Tages bist. Und ja, auch mir bleibt die Luft weg. Vor Lachen und vor Begeisterung.

    Schon allein Dein Pladoyer für die Klugscheißerei in “Diskutieren Zwecklos” ist so wunderbar, dass ich auch davon auf meinem Blog erzählen werde – nachdem sich die ruckartigen Zuckungen meiner Bauchmuskulatur wieder beruhigt haben.

    Ab heute bist Du mit von der Partie in meinem Feedreader. Das haste nun davon.

    Reply
    • ICH Thema des Tages? Das is mir ja nicht mehr passiert, seit ich im Kindergarten mein Stofftier zu Hause vergessen und deswegen allen die Ohren vollgeplärrt habe. Herzzerreißend!

      Reply

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