Ich möchte an dieser Stelle eine neue Rubrik einführen: Fragen, Fragen, Unbehagen. Und zwar aus gegebenem Anlass: soziale Orientierungslosigkeit, die hin und wieder auftritt, wenn ich einerseits lapidar bestimmte Muster in meiner Umwelt wiedererkenne, dann aber beherzt den Daumen drauf lege und frage: Warum ist das so? Muss das so sein? Und lasst euch gesagt sein: Ich hab nicht den leisesten Schimmer. Aber man muss es ja mal ansprechen. (Um im Anschluss souverän diverse Antworten aus dem Ärmel zu schütteln, die weder Hand noch Fuß haben. Bestenfalls gefährliches Halbwissen.)
Habt ihr euch beispielsweise noch nie gefragt, warum (in Berlin) die Blumenläden fast immer von Asiaten geführt werden? Irgendwann fällt einem das doch auf und hinterlässt ein Fragezeichen. Ich meine mir einzubilden, es seien vor allem Vietnamesen. Warum haben die so ein Faible für Florisitik? Ist das nicht die Domäne der Holländer? Hat irgendwann mal ein Asiate den Sprung auf den Flora-Olymp geschafft, lebt seitdem in Saus und Braus, und nun versuchen es ihm alle nachzumachen? Vom Tellerwäscher zum Kaiser der Gummibäume? Oder gibt’s vielleicht ein Sprichwort in Vietnam, sowas wie: „Ein buntes und von Glück erfülltes Leben ist wie eine prächtig blühende Orchidee“? Ich habe allerdings gelesen, die seien in Vietnam zum großen Teil Atheisten. Voll sympathisch. Wobei, ans große Geld glauben ja doch alle, das verbindet uns Menschen überall.
Vielleicht habt ihr euch das aber auch gar nicht gefragt, und es interessiert euch auch nicht die Bohne. Akzeptiere ich vollkommen. Aber dann beschäftigen euch andere Dinge. Niemand geht durchs Leben und nimmt alles einfach so hin, ohne wenigstens in manchen Situationen ins Grübeln zu kommen, warum sich die Mitmenschen so verhalten wie sie sich verhalten, so sind wie sie sind, so völlig berechenbar und wahllos zugleich. Instinkt, Gene, Erziehung. Je nach erkenntnistheoretischer Positionierung des eigenen Ichs alles plausible Erklärungsmuster. Der biologistisch-naturwissenschaftliche Diskutant möge uns erklären: „Jäger und Sammler halt! Liegt alles in den Genen!“ Die gendersensible Seite sieht das anders: „Liegt alles an der Erziehung. Sozialisierung in so einer Gesellschaft, da kann ja nur dergleichen bei rumkommen.“
Jaja, alles richtig, aber was sagt ihr zu diesem Phänomen: Ich laufe durchs Einkaufzentrum. Macht mir nicht sonderlich Spaß, weil ich Einkaufszentren scheiße finde. Sehen alle gleich aus, haben die gleichen Geschäfte, ne Eisdiele im ersten Stock mit hässlichen Couchecken, voll von betagten Menschen, die sich verirrt haben müssen, oder bepiercten Teenagern mit Testfrisuren. Im Erdgeschoss ist amateurhaft eine Bühne aufgebaut, wo man an einem Gewinnspiel teilnehmen kann, wenn man sich vorher den runtergeleierten Text einer semi-motivierten Promoterin anhört, die gestern noch ISDN-Anschlüsse im Saturn verkauft hat.
Naja, ich hab mal wieder nicht gefunden, was ich eigentlich gesucht hatte, und will vorbei an den ganzen anderen Shopping-Opfern Richtung Ausgang. Ich bin nicht der Einzige, der vom ersten Stock runter ins Erdgeschoss will. Und auch nicht der Einzige, der froh ist, diese Hölle endlich zu verlassen scheint mir. Und trotzdem bin ich immer wieder erstaunt, was auf dem Förderband, welches uns Gepeinigten den Ausgang zum Greifen nah erscheinen lässt, geschieht: Man stellt sich auf das Band und bleibt mittendrauf stehen. Als hätten alle nur darauf gewartet, endlich irgendwo eine Gehpause einzulegen. Puh, geschafft! Endlich bewegt sich der Boden von alleine, man muss die Beine nicht bewegen und kommt trotzdem voran. Stark! Zwar prügelt man sich den ganzen Tag lang durch die Gänge mit viel zu vielen Klamotten, kotzt über die zu langen Schlangen an den Kassen ab, schlingt sich mittags im Food-Court schnell ein Fischbrötchen rein, damit man noch die dritte Etage dieses Komplexes abklappern kann. Aber auf diesem Rollband kommen sie plötzlich zum Stehen und hindern Leute wie mich daran, dem ganzen Albtraum hurtigst entfliehen zu können.
Warum bleiben die alle stehen, verdammt nochmal? Geht doch weiter! Oder macht mir Platz. Nee, locker angelehnt streift der Blick durch die halogenbeleuchtete Halle. Ein anerkennender Blick zurück zu den Geschäften, denen man sein Geld in den Rachen geworfen hat. Noch mehr Produkte für noch mehr Lebensqualität. Stellen ihre vier H&M Tüten mitten in den Weg. Runterkommen vom Konsumtrip. Nochmal die weitere Shoppingroute im Kopf durchspielen.
Das Rollband, Ort der Rekreation! Ich könnte ausrasten. Man muss noch nicht mal Stufen bewältigen, wie auf einer richtigen Rolltreppe, sondern einfach nur weiter gehen und dabei ein leichtes Gefälle überwinden. Warum bleiben alle stehen?
Das macht einen doch völlig fertig, langsamer als Schritttempo auf einem Fließband durch eine Riesenhalle geschoben zu werden. Irgendwie würdelos auch. Sobald der Boden sich zu bewegen anfängt, benutzen wir unsere Beine einfach nicht mehr. Egal wie langsam, Hauptsache Technik nimmt uns ein lästiges Stück Alltag ab: gehen. Auf die Spitze wird dieses Spektakel auf Flughäfen getrieben, wo sehr lange Gänge mit Hilfe ebenerdiger Förderbänder zu bewältigen sind, wenn man das will. Man könnte sich natürlich denken: Geil, auf den Dingern laufen geht voll schnell und ist so lustig wie auf Einkaufswagen durch den Supermarkt heizen. Aber nicht mal Carl Lewis spielen geht, weil auch auf diesen Fließbändern immer Spielverderber mit ihren dicken Koffern verweilen und die Rennstrecke blockieren, indem sie sich treiben lassen. Die nehmen in Kauf, noch langsamer zu sein als zu Fuß. An den Leuten versuche ich dann immer möglichst lässig nebendran vorbeizuziehen, um Überlegenheit zu demonstrieren. In meinem Gang steckt auch ein klein wenig Verachtung, aber die ist vermutlich kaum sichtbar für die Bequemlichen.
Ein Stück meiner Lebenszeit beraubt, bin ich trotzdem fast draußen. Fast. Da ist noch diese Drehtür. Was für eine dumme Erfindung. Man wartet eingeschlossen in diesem beklemmenden Glaskreisel mit Fahrstuhlatmosphäre darauf, endlich nach draußen ausgespuckt zu werden. Kurz vorher hält die Tür aber natürlich noch mal an. Weil sich auf der anderen Seite noch wer im letzten Moment reinquetschen wollte. Verständlicherweise. Sonst muss man völlig ohne Sinn noch ne halbe Umdrehung abwarten. Was spricht gegen eine normale Tür? Mysterien der Ingenieurskunst.
Draußen schnapp ich mir mein Rad und fahr erstmal bei Rot drüber, mit dem guten Gefühl wieder etwas Zeit reingeholt zu haben.
In richtigen Metropolen steht man auf Rolltreppen, Förderbändern und dergleichen rechts, damit die Eiligen links vorbei gehen können. ;o)
Förderbänder in Shoppingtempeln habe ich zwar noch nicht gesehen, kann mir diese technologische Sinnlosigkeit aber sehr gut vorstellen. Ich vermute, man will den Schopping-Opfern ;o) die Möglichkeit geben darüber nachzudenken, ob sie den Dispo nicht doch noch ein bisschen überziehen können. Denn wer steht, guckt sich um und wird sich des Tempels bewusst, durch den er “schwebt”.
Eine ähnliche Aufgabe dürften diese schwachsinnigen Drehtüren haben. Sie schaufeln die Menschen rein und raus. Vor allem aber verlangsamen sie den Fluss, womit sie dem Tempel einen Hauch von Exklusivität verleihen. Da wo eine Schlange ist, gibt´s “was Besonderes”. Da muss man nur mal einen Apple-Jünger oder Ossi befragen. ;o)
Ob das wirklich so exklusiv ist, wenn in den Glasdrehtüren Werbung für eine Woche Türkische Riviera all inclusive für 199 Euro drinne is, ich weiß es ja nich… =)
Aber stimmt, in Wien klebt an den Rolltreppen folgender Hinweis: “Rechts stehen, links gehen.” Funktioniert ganz gut.
klar rechts gehen und links stehen!
Haha, ich bin also nicht der erste, dem das aufgefallen is. Wie biste denn darauf gestoßen? Geil!