RSS Feed

Tag Archives: Tom Gerhardt

Im ICE

Mittlerweile find ich Zugfahren geil. Als Teenager bin ich höchstens mit dem Regio zwischen meinem Kaff und der Großstadt gependelt, und das oftmals schwarz, so dass ich unterwegs immer Blut und Wasser geschwitzt hab, weil ich keine Lust hatte, 5 Mark fürs Ticket zu zahlen. Das Geld hab ich lieber gespart, um mir bei New Yorker ein Plastik-T-Shirt mit Tribal auf der Brust kaufen zu können.

Vom Dorf-Proleten-Zug hab ich den Aufstieg in die 2. Klasse ICE geschafft, und das ganz ohne Bahncard 25. Ich mag die Sitze mit Tisch. Da steck ich meinen Laptop an und zieh mir haufenweise Serien rein. Das könnte man ruhig auch mal in der Werbung anpreisen. So ein Vollnerd, der sich in seinen Sitz pellt und stundenlang mau auf den Bildschirm glotzt, während er mit 250 Sachen durch die Pampa brettert. Das ist Luxus! Bordrestaurant mit Eintopf für 9 Euro ist mir herzlich egal und ausm Fenster gucken halte ich einfach nicht lange aus. Hinter Berlin kommt auch einfach lange lange nichts, was meines Blickes würdig wäre. Glaub ich zumindest. Keine Berge, kein Meer und auch sonst kein spektakuläres Szenario. Bloß… Mitteldeutschland. So richtig durchschnittlich. Wie ich mir deutsches Ödland halt so vorstelle.

Leider hat die Steckdose beim letzten Mal gestreikt, so dass nach zwei Folgen Game of Thrones Schluss war mit belangloser Serienscheiße. Also muss ich mich mit meiner unmittelbaren Umwelt befassen statt mit Intrigen, Sex, Gewalt und Mittelalter-Kreaturen. Wobei, soweit liegen die beiden Welten wahrscheinlich gar nicht auseinander. Schräg vor mir sitzt ein Typ in Jogginghose und schaut mit seiner Freundin zusammen auf ein vor ihnen platziertes Gerät, welches ich bei genauerem Hinsehen als tragbaren DVD-Player identifiziere. Ich hätte nicht gedacht, dass sich jemals ein Mensch so ein Ding kauft, der schonmal von Notebooks oder sonstigen Geräten gehört hat, die mehr als nur eine einzige Sache können. Vielleicht leiht der sich auch noch Spielfilme in der Videothek aus und überspielt die sich auf seinen zwei Videorekordern, ergänzt um einen den Kopierschutz umgehenden Dekoder. Für unterwegs gönnt er sich jedenfalls den Luxus eines portablen DVD-Players. Warum nicht?! Seine Sammlung an DVDs scheint zudem relativ hochwertig zu sein. Er guckt nämlich Wrestling. Die Highlights der WWF, schätz ich. Undertaker gegen Bret fucking Hit Man Hart. Ok, das war geraten. Sind nämlich die einzigen beiden Clowns, die ich aus Schulzeiten noch von Sammelkarten her kenne. Ich raff bis heute nicht, was daran geil sein soll. Ich musste nicht erst Arranofskys ‘The Wrestler’ gucken, um zu verstehen, dass das einstudiertes Theater ist. So lächerliche Gesten auch: Der eine rammt den anderen zu Boden, dreht sich um, lässt sich nichtsahnend vom Publikum feiern, während sich der andere klammheimlich aufrappelt, von irgendwoher einen sperrigen Gegenstand auftreibt und dem Poser von hinten überbrät. Das wiederholt sich ein paar mal, mit anderen Gegenständen und noch peinlicheren Kostümen, und am Ende gewinnt der, der eigentlich schon kaputt war.

Vielleicht hat das auch der Kollege mit dem DVD-Player geschnallt, oder aber die Freundin war einfach kein dezidierter Wrestling-Fan. Jedenfalls zieht er aus seiner DVD-Tasche was neues. Ich bin schon bisschen gespannt, muss ich zugeben. Wieder was mit erstklassigen Schauspielern: Tom Gerhardt und diesem anderen, der immer Mario spielt. Hab ich gleich erkannt, denn mir sind die Klassiker ‘Voll normaaal’ und ‘Ballermann 6’ durchaus geläufig. Gehörte irgendwie zu meiner kölschen Sozialisation.

„Booaaah, isse Tiiiiger!“ – „Nä, Tommy, Leopaaarde!“ – „Tiiiiger!“ – „Leopaaarde!“

Und das is noch einer der sinnvolleren Dialoge… Jedenfalls handelt es sich bei dem Streifen um die neueste cinematographische Sensation der beiden Komiker: ‘Die Superbullen’. Nie gesehen, werd ich aber nachholen müssen. Was ich in den ersten beiden Minuten mitbekommen habe – voll besoffen mit ihrem Streifenwagen zum Dienst erscheinen und dabei alle in der Nähe stehenden Autos rammen – das hat Potential. Ich bin begeistert von der erlesenen Auswahl des Burschen vor mir und noch viel mehr beeindruckt davon, dass seine Freundin das mitmacht.

Meine Aufmerksamkeit gilt mittlerweile allerdings eh schon dem Päarchen hinter mir. Nachdem der Schaffner den werten Herren nämlich darauf aufmerksam gemacht hat, dass sein Ticket nicht gültig sei, entbrennt eine heiße Diskussion. Also naja, eigentlich macht sich der Typ nur lächerlich, ohne es zu merken. So Sätze wie:

„Seit VIERZIG Jahren fahr ich mit der Deutschen Bahn, aber SOWAS is mir noch NIE passiert.“ Als hätte das jemals was gebracht. Auch pampig dem Schaffner gegenüber hilft meistens nicht: „Ohhh ja, Sie fühlen sich jetzt wohl besonders wichtig, was?!“ Weiter zur weiblichen Begleitung „Hier hier, merkste, wie der sich aufspielt?! Kommt sich wohl besonders toll vor.“ Und natürlich noch: „Das wird noch Konsequenzen haben, das lass ich mir nicht gefallen.“ Die einzige Konsequenz ist, dass sich alle Leute um ihn herum fremdschämen.

Ich hätte mich gern umgedreht, den Typen ausgelacht und wenn ich damit fertig gewesen wäre, dem äußerlich vollkommen tiefenentspannt wirkenden Schaffner meine Bewunderung für soviel Gelassenheit ausgedrückt. Stattdessen hab ich die Schnauze gehalten und weiter zugehört, nachdem der Schaffner seine Arbeit wieder aufgenommen hat. Sie mault völlig zurecht: „Immer das Gleiche mit dir. Schiebst die Schuld auf andere. Warum kannste nicht einsehen, dass du nen Fehler gemacht hast?“ Daraufhin er völlig selbstreflektiert: „Ach komm, sei ruhig. Komm, sei still, sei einfach still!“

Dass sich die beiden innig lieben, beweist sich dann doch noch. Als wir in Köln aussteigen, und die Treppen vom Bahnsteig hinunter gehen, zeigt er seine emphatische Seite. Sie macht einen falschen Schritt und purzelt die halbe Treppe auf dem Allerwertesten runter, woraufhin er entsetzt brüllt: „Kannste dich noch nicht mal gescheit festhalten, Mensch!?!“

Das muss Liebe sein.